Das sterbende Tier

In diesem kurzen, konzentrierten Roman taucht der New Yorker Kritiker und Literaturdozent David Kepesh zum dritten Mal in tragender Rolle im Werk Roth’s auf. Wie schon zuvor bei dieser Figur in der Novelle „Die Brust“, in der Kepesh in eine 155 Pfund schwere weibliche Brust transformiert wird, und „Professor der Begierde“, die beide in den Siebzigern erschienen sind und einen jungen Kepesh als Hauptfigur haben, dreht sich auch in „Das sterbende Tier“, indem wir den alternden, über sechzig jährigen Kepesh wiedertreffen, fast alles um Sex. Vor allem um Sex mit jungen Frauen, seinen Studentinnen.

Brüste und #metoo – Leitmotivik und Problematik von Das sterbende Tier im aktuellen Diskurs

Dabei ist festzuhalten, dass dies alles völlig einvernehmlich und ohne das Ausnutzen der Machtposition als Professor einhergeht, zumindest fast. Außerdem gab es 2001 bei Erscheinen des Romans noch keine #metoo Aufregung. Es wäre eine interessante Frage, wie man Roth das Buch unter den heutigen Gesichtspunkten anrechnen würde, denn ein wenig ungemütlich ist dieser Erotomane Kepesh durchaus, auch wenn dies eher ein allgemeines Unbehagen ist, welches auftritt, wenn alte Männer allzu detailliert über junge Frauen phantasieren. Um Brüste geht es natürlich auch wieder, insbesondere um jene der jungen Consuela, einer in Amerika geborenen Kubanerin aus gutem Elternhaus, die den alten Kepesh mit ihrem üppigem, verlockenden Körper im Alter dann doch um den Verstand bringt und dessen – für sich konstruiertes – Gedankengebäude der „freien Liebe“ ins Wanken bringt. Natürlich hat das auch etwas mit dem Alter zu tun und dem Wissen darum, dass Consuela, wenn schon nicht die Letzte, dann doch eine der Letzten sein wird. Auf der anderen Seite lernt Kepesh dann im Alter doch noch halbwegs anständig Klavier zu spielen.

Inhalt und Thematik des Romans Das sterbende Tier

Worum geht es also? Das Sexualleben eines alternden Literaturprofessors? Ganz so einfach (und langweilig, wie ich anmerken möchte) ist es dann doch nicht. In gewisser Weise verhandelt Roth auf den nicht einmal 200 Seiten dieses langen, direkt an die Leserschaft gewandten Monologs (samt Fragen an den Leser und die Leserin, aber dazu später mehr) nicht nur die sexuelle Befreiungsbewegung der 68er, in der er einen wirklichen Freiheitsgewinn sieht, sondern auch das Altern als solches, die Schönheit des weiblichen Körpers, Vergänglichkeit sowie Moral, was insbesondere bei dem schwierigen Verhältnis des Protagonisten und Erzählers Kepesh zum eigenen Sohn deutlich wird, der sich – trotz der Verurteilung des Vaters für dessen Lebensführung – beinahe genauso verhält, nur eben reichlich bigott.

Das sterbende Tier im US-amerikanischen Kontext

Nicht ganz unwichtig ist der speziell US-amerikanische Kontext, in dem dieses Buch steht. Aus europäischer Perspektive gibt es etwas weniger her, auch wenn die erotischen Allüren eines Mittsechzigers auch bei uns nicht unbedingt am laufenden Band verarbeitet werden. Wie Roth an einer Stelle schreibt, seien die USA eben auf der Idee eines patriarchalen Puritanismus gegründet (die Gründerväter samt Mayflower) und diese seien mit ihren Frauen eben auch vor der Libertinage der Alten Welt nach Amerika geflohen. Dort fingen sie dann auch wenig später an, aufmüpfige weibliche Mitglieder ihrer Gemeinschaft auf Scheiterhaufen zu verbrennen. Diesem religiös unterfütterten Enthaltsamkeitsideal schlug die sexuelle Revolution der 60er und 70er natürlich in die ohnehin ziemlich schräge Fratze. Trotzdem oder gerade deswegen wird jenseits des Atlantiks von gar nicht Wenigen verzweifelt nach einem Weg zurück in die Zeit vor Pille und freier Liebe gesucht, etwas das in Europa selbst populistisch-nationalistische Parteien, die auf der „Familie“ herumreiten wie auf einer heiligen Kuh, nicht ernsthaft versuchen. Neben Sex, Consuelas Titten, einem ziemlich ätzenden und nicht vergeben wollenden Sohn und sterbenden Freunden (eine sozusagen natürliche Begleiterscheinung des Alters) breitet Roth aber auch die eigene Lektüre aus, macht Nebenschauplätze auf und sagt geradezu hellseherisch (2001) die Probleme des entfesselten, neuen Kapitalismus hervor, wie wir ihn sonst häufig erst seit der Finanzkrise deutlicher sehen. Überhaupt ist es schwer, diesen alternden Intellektuellen mit Hang zu großen Brüsten, jungen Frauen und klassischer Musik nicht zu mögen.

Autobiografische Bezüge des Autors Philip Roth und das Problem der Perspektive

Wie viel Roth in Kepesh steckt ist dabei schwer zu sagen. Sicher einiges – und dann ist es doch auch wieder so, dass Roth eher in diese Rolle eines imaginierten Charakters schlüpft und aus dessen Weltsicht heraus den Lesern und Leserinnen Dinge und die verdammte Geschichte mit Consuela darlegt. Es ist eine der üblichen Fallen, den Autor oder die Autorin mit seinen bzw. ihren Figuren zu sehr in eins zu setzen. Zugegebenermaßen ist dies gerade bei der Ich-Perspektive, in der dieser Roman gehalten ist, besonders leicht. Mit der speziellen Erzählperspektive geht auch der Stil dieses Buches Hand in Hand. Das ist kein “stream of consiousness“, keine Introspektion, kein Selbstgespräch, „Das sterbende Tier“ liest sich wie eine lange Unterhaltung am Kamin, vielleicht gar wie eine Therapiesitzung, bei der nie ganz klar ist, wer eigentlich auf der Couch sitzt und wer die Rolle des Psychotherapeuten oder der Psychotherapeutin einnimmt. Speziell ist auch die direkte Ansprache der Leserschaft. Nicht, dass es nun etwas Neues oder völlig Unerhörtes wäre, man findet diese Ansprache nur eben selten, da es wenige Texte gibt, die wie eine Konversation mit dem Leser und der Leserin verfasst sind. Hier funktioniert dies meisterlich, kein Wunder bei einem Großmeister der erzählerischen Form, wie es Philip Roth zweifellos ist.

Das sterbende Tier: absolut empfehlenswert

Kann man das Buch also empfehlen? Ja, klar. Gerade der Stil und das weite Abschreiten von Themen jenseits des Hauptfokus macht „Das sterbende Tier“ zu einer kurzweiligen, zuweilen nachdenklichen, zuweilen auch hinreißenden Lektüre. Gerade die im Kontext der USA interessante Verhandlung von Moral, Sex, Leidenschaft und der – am Ende – unbeantworteten Frage nach der verdammten Liebe, geben dem Buch auch die hinreichende Tiefe, um das eigene Denken, Verhalten und die eigenen Ansichten einmal kritisch zu betrachten. Wer allerdings auf der Suche nach einer richtig guten „Story“ mit Handlung, Spannung und all dem anderen Drumherum ist, der wird mit diesem auch für Roth recht speziellen Buch nicht wirklich viel anfangen können.

Ein Kommentar

  • Mone Antworten

    Oh Gott! – typisch deutsch-bürgerliches Narrativ! Gedankensprünge zwischen staubigen Schubladen ausgelegt mit krampfhaft anti-amerikanischen Cliches. Mein guter Herr, die Tiefe, die messerscharfe Kunst der Sprache – die Brillanz dieses Meisterwerks konnten Sie leider nicht ergreifen.

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