Maggie Cassidy

Maggie Cassidy ist vielleicht das ungewöhnlichste Buch, welches Jack Kerouac geschrieben hat. Dabei bleibt er seinem eigenen, manchmal nicht einfach zu lesenden Stil mit überlangen Sätzen und – teils – fehlender Interpunktion treu. So gesehen blieb Kerouac auch bei der Arbeit an Maggie Cassidy seiner Idee der „spontanen Prosa“ treu. Was dieses Buch so anders macht, ist das Thema. Maggie Cassidy ist eine Teenager-Love Story im Highschool Setting. Und eine verdammt gute obendrein. Teilweise liegt dies auch an der seltsamen Mischung von amerikanischer Kleinstadt in den 30ern, Jugendlichen und deren Problemen (die im Übrigen bis heute ziemlich gleichgeblieben sind, trotz Instagram, Facebook und Smartphones) und dem Motiv Liebe. Nicht, dass Letzteres nicht auch in anderen Büchern, namentlich auch durchaus in „Unterwegs“, eine Rolle spielen würde, aber es ist dort die erwachsene, die scheiternde, die unmögliche Liebe, nicht das sehnsuchtsvolle Erwachen der Gefühle und dieses Gefühl der Notwendigkeit, die Liebe bei Jugendlichen hat.

Autobiografische Bezüge in Maggie Cassidy

Der Kontrast zwischen Jack Dulouz (= Jack Kerouac, auch dieses Buch ist autobiografisch) und seiner „Anbetung“ von Maggie Cassidy und der Liebesgeschichte zwischen Sal Paradise (auch ein Synonym für den Autor) und dem mexikanischen Mädchen Terry im ersten Kapitel von „Unterwegs“ könnte kaum größer sein. Jack verlässt Maggie und die Kleinstadt Lowell, Massachusetts, in der er aufwuchs, um nach New York zu gehen, kehrt aber zurück, auch wegen Maggie, und stellt fest, dass die Unschuldigkeit der Teenagerliebe vorbei ist. Sal Paradise hingegen hat nicht nur eine „echte“, sexuell aufgeladene Affäre mit der verheirateten Terry, sondern verlässt sie schließlich, obwohl er sie aufrichtig zu lieben scheint, weil er das Leben als Erntehelfer nicht aushalten mag oder kann. Der Roman Maggie Cassidy und die Figur Jack Dulouz, die nach Sal Paradise sozusagen das Alter Ego des Schriftstellers wird, tritt in insgesamt vier Romanen auf, die auch als Dulouz Legends bekannt sind (Maggie Cassidy, Dharma Bums, The Subterraneans, Doctor Sax) und die sich alle um Kerouacs Herkunft aus einer französisch-kanadischen Familie in der amerikanischen Kleinstadt Lowell, Massachusetts,  drehen. Kerouac selber hat die Dulouz Legends einmal nicht unrichtig mit Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ verglichen, wenn sich auch die Entstehung bzw. das Schreiben von Literatur bei Proust und Kerouac geradezu diametral unterscheidet.

Lowell, Football, und die schöne Maggie Cassidy

Das Buch beginnt mit Jack Dulouz, dem Football Star der High-School von Lowell, und seinem Freundeskreis, den alltäglichen Problemen und Problemchen der Jugendlichen, mit Jack Dulouzes Familie, Kleinstadtleben und einem irgendwie echt amerikanischen Flair einer heute lang verlorenen Zeit. Dazu gehören natürlich auch die eine oder andere Formulierung und Darstellung, die heute als rassistisch oder sexistisch angesehen würde. Und das zum Glück! Denn Literatur ist neben Kunst ja auch ein Dokument der Zeit, in der sie entsteht und spielt, wenn diese von den Autorinnen und Autoren selbst noch erlebt wurde. Zudem würde wohl kaum jemand dem Autor ernsthaft Rassismus nachsagen, nehmen er und seine Weggefährt*innen der Beat-Generation doch für die damalige Zeit teils extrem progressive Positionen ein. Aber zurück zum Inhalt: Der Football Star Jack Dulouz trifft schließlich an einem lauen Sommerabend die einfache, hübsche, irisch-amerikanische Maggie Cassidy und verliebt sich Hals über Kopf in sie. Danach entspinnt sich so eine typische frühe Highschool Liebe, Jack wirbt um Maggie und Maggie lässt sich auf diese süße, weiche, unschuldige erste Liebe ein. Das bringt – wie immer – auch Probleme mit sich. Am Ende verlässt Jack das heimatliche Lowell, um mit einem Football Stipendium an die Uni in New York zu gehen (ganz ähnlich wie Jack Kerouac selbst, der in seiner Jugend ein herausragender Footballspieler in seiner High-School in Lowell war). Als er nach dem Semester wieder nach Hause nach Lowell kommt und Maggie wieder trifft, fühlt er sich immer noch zu ihr hingezogen, aber aus der ursprünglich so unschuldigen Teenager-Verliebtheit ist Verlangen geworden, die Unschuld ist verloren und Maggie ist nurmehr eines von vielen verführerisch reifen Mädchen.

Stil, Rezeption und die Dulouz Legends – Jack Kerouacs Madeleine de Proust

Der Stil des 1953 geschriebenen, aber erst 1959 nach dem Erfolg von „Unterwegs“ (Original: On the Road) publizierten Romans ist dem von „Unterwegs“ ähnlich, wenn auch weniger extrem ausgeführt. Damit reiht sich Maggie Cassidy, wenn auch vom Thema her so einzigartig im Werk des Autors, stilistisch klar in die Reihe der von Kerouac propagierten und ausgeführten „spontanen Prosa“ ein. Ansonsten handelt es sich bei Maggie Cassidy, wohl auch wegen dem Thema und Setting, um ein weitgehend übersehenes, wenig beachtetes Werk von Kerouac. Gerade für den Einstieg in die sprachliche und erzählerische Welt Kerouacs eignet sich der schmale Band aber gar nicht schlecht, gerade wenn der Leser oder die Leserin selber noch „jung“ ist und sich mit den High-School Figuren noch besser identifizieren kann. Insbesondere als Teil der Dulouz Legends (Kerouacs sich über mehrere Romane erstreckende, epische Erzählung seiner Jugend, seiner Familie und dem Leben in Lowell, Massachusetts, vor und während des zweiten Weltkriegs) nimmt Maggie Cassidy einen wichtigen Platz im Werk des Autors ein, allerdings wird der Erzählzyklus, anders als Prousts siebenbändiges Mammutwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, nur selten auch als ein solcher gelesen.  

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