Alice Hasters  – Wir müssen reden

Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen – aber wissen sollten: So lautet der Titel des Buches der Autorin Alice Hasters, das Ende 2019 erschienen ist und aufgrund einer gewaltsamen Festnahme in Minneapolis, bei der der Afroamerikaner George Floyd zu Tode kam, aktueller ist denn je. Wir müssen also dringend über Rassismus reden, beziehungsweise schreiben.

 

Am 25. Mai 2020 wurde der Afroamerikaner George Floyd infolge einer gewaltsamen Festnahme getötet – ein Polizist hatte den auf dem Boden liegenden Floyd minutenlang seine Knie so fest in den Nacken gedrückt, dass der 46-jährige schließlich erstickte und verstarb. Vor den Augen zahlreicher Anwesender. Drei weitere Polizisten waren bei der Festnahme dabei. Sie sind trotz Floyds offensichtlicher Atemnot, trotz Augenzeugen, die riefen, der Polizist solle von ihm ablassen, da Floyd keine Luft mehr kriege, nicht eingeschritten. Eine unfassliche Tat. Ausgeübt von einem Polizisten. Leider kein Einzelfall, sondern nur ein einer von vielen, die sich über Jahrzehnte hinweg nicht nur in den USA, sondern weltweit ereignen. Immer wieder sorgen Fälle wie dieser für mediales Aufsehen und für weltweite Proteste und Solidaritätsbekundungen. So wie aktuell. Ein wirkliches Umdenken hat dennoch nicht stattgefunden.

 

Allein in Deutschland gab es 2019 fast 1200 Fälle von rassistischer Diskriminierung.

 

Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland laut Antidiskriminierungsstelle des Bundes fast 1200 Fälle von rassistischer Diskriminierung. Ein Anstieg um 10 % im Jahresvergleich. „Die Beratungsanfragen zu rassistischer Diskriminierung nehmen überproportional zu. Sie haben sich seit 2015 mehr als verdoppelt“, berichtete Bernhard Franke, kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle.

 

Höchste Zeit also, sich mit den Themen Rassismus, Alltagsrassismus und Mehrfachdiskriminierung auseinanderzusetzen. Denn dabei handelt es sich um Phänomene, die allzu gerne verschwiegen oder kleingeredet werden. Das Problem: Wir halten uns oftmals für weitaus aufgeklärter und toleranter, als wir in Wirklichkeit sind. Dabei wissen Menschen weißer Hautfarbe schlichtweg nicht, was es heißt, aufgrund seiner Hautfarbe und/oder seines Namens diskriminiert zu werden. Menschen mit nicht weißer Hautfarbe werden oftmals zu marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen stigmatisiert. In ihrem Buch benennt Hasters dieses Phänomen als “Othering” . Immer dann, wenn von  „den Anderen“ die Rede ist, dann ist das bereits Diskriminierung. Die Hamburger Autorin und Aktivistin Kübra Gümüsay hat mit Sprache und Sein ein sehr aufschlussreiches Buch zu dem Thema geschrieben.

 

Rassismus geschieht bereits im ganz Kleinen und zieht von dort große und immer größere Kreise.

Was vielen Menschen nicht bewusst ist, selbst denen nicht, die jegliche Form des Rassismus vehement von sich weisen würden (und das würden die allermeisten von uns) – Rassismus geschieht bereits im ganz Kleinen und zieht von dort große und immer größere Kreise. Die Frage „Wo kommst du her?“ kann noch so aufgeschlossen gemeint sein; für jemanden, der in derselben Stadt aufgewachsen ist wie der Fragestellende, aber dennoch innerhalb einer Woche zum fünften Mal Auskunft über sich und seine Herkunft Ausunft erstatten muss, kann diese wiederholte Frage extrem verletzend sein. Denn sie kreiert einen permanenten Erklär- und Rechtfertigungsmodus und ein tiefsitzendes Gefühl der Nichtzugehörigkeit.

 

Weiße Menschen profitieren bis heute von einem weißen System.

 

Mit Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen hat die 1989 in Köln geborene Journalistin Alice Hasters ein Buch darüber verfasst, wie Rassismus ihren Alltag als schwarze Frau in Deutschland geprägt hat. Sie weiß aus eigener Erfahrung: Rassismus macht auch vor der Liebe oder in der Familie keinen Halt. Aufgewachsen mit einem weißen Vater und in Beziehung mit einem weißen Freund lebend, hat sie immer wieder erfahren, dass weiße Menschen Privilegien genießen, die ihnen oftmals überhaupt nicht bewusst sind.

Zudem profitieren weiße Menschen bis heute von einem weißen System. Deshalb plädiert Hasters dringend dafür, den Kolonialismus endlich aufzuarbeiten. Im Interview mit Zeit Campus sagte sie kürzlich: „Man müsste unser komplettes Wirtschaftssystem auf den Kopf stellen“, damit es nicht weiterhin auf Ausbeutung basiert. Und damit Black Lives Matter nicht bloß ein griffiger Slogan bleibt, sondern die Forderungen der internationalen Bewegung endlich gelebte Wirklichkeit werden.

 

Was jeder Einzelne tun kann? Beispielsweise Bücher wie das von Alice Hasters lesen, sich selbstkritisch mit seinem eigenen Rassismus auseinanderzusetzen und vor allem offen darüber reden. Der gemeinsame Dialog sowie der Verzicht auf gewohnte Privilegien sind jetzt wichtiger, denn je. Denn nur so können sich verkrustete – auf Ungleichheit basierende Strukturen – langsam aber sicher auflösen und neuen, gerechteren Gesellschafts- und Wirtschaftsformen den Weg ebnen.

Übrigens schreibt Alice Hasters nicht „nur“ – in ihrem monatlichen und viel beachteten Podcast Feuer & Brot spricht sie gemeinsam mit Maxi Häcke über Feminismus, gesellschaftliche Themen und Popkultur.

Text: Lesley Sevriens

Fotos: H. Henkensiefken

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