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Michel Houellebecq

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Skandal! Das fällt vielen ein, wenn man Michel Houellebecq erwähnt. Und wirklich hat dieser vielleicht letzte französische Großschriftsteller, dessen Bücher immer wieder kontroverse Debatten anstoßen, einen geradezu sadistischen Spaß an der Provokation. Das hat mal gute Seiten, da die Überspitzungen und die teils brutale Zivilisationskritik wirkliche Missstände aufzeigen, und mal erscheinen die – insbesondere sexuellen – Eskapaden der Hauptfiguren von Houellebecqs Romanen geradezu übersteuert und gewollt. Erwarten seine Fans aber wohl irgendwie auch. Keine Bücher zum Wohlfühlen, ansonsten oft ganz großes, depressives und gesellschaftskritisches Kino. Wikipedia

Steckbrief Michel Houellebecq

  • Daten: 25. Februar 1956 oder 1958 (je nachdem, ob man ihn oder seine Mutter fragt) -
  • Geburtsort: Saint Pierre (La Réunion)
  • Sprache(n): Französisch
  • Hauptwerke o. Reihen: Die Ausweitung der Kampfzone, Elementarteilchen
  • Rezensierte Bücher: Elementarteilchen, Serotonin
  • Genres: Gesellschaftsromane
  • Webseite: Autorenwebseite Dumont Verlag (eine eigene offizielle Webseite führt Houellebecq nicht mehr)
  • Adaptierte Filme/Serien: Elementarteilchen (Film, Deutschland 2006), Unterwerfung (Film, Frankreich 2017), La possibilité d´un Ile (Film, Frankreich 2008)
  • Lesestoff: für Fans gepflegter Depression, Misanthrop*innen, alle, die gute und nicht immer leicht verdauliche Bücher lieben

Kindheit und Weg zum Schriftsteller

Man kann die Jugend Michel Houellebecqs wohl als bewegt beschreiben. Geboren wird er (wann genau auch immer) auf der Insel Réunion, verbrachte einen Großteil seiner frühen Kindheit bis 1961 bei den Großeltern mütterlicherseits in Algerien und wurde dann zur Großmutter väterlicherseits, der Kommunistin, in das Pariser Umland geschickt. Die Eltern hingegen fanden wenig Zeit, sich um den eigenen Sohn zu kümmern, was wohl auch das familiäre Zerwürfnis mit erklären dürfte, immerhin nennen nicht gerade alle Mütter den eigenen, erfolgreichen Sohn einen Lügner und Hochstapler, auch wenn beides sicher Charakterzüge sind, die einem Schriftsteller geradezu hoch anzurechnen sind und sozusagen zum Metier gehören. Seine Schulzeit verbrachte Houellebecq erst in einem Internat in Meaux, nach dem Baccalaureat (französisches Abitur) besuchte er das Institut nationale agronomique Paris-Grignon und beendete das Studium schon 1978 als diplomierter Landwirtschaftsingenieur. In die Zeit an der Universität fallen auch die ersten literarischen Arbeiten Houellebecqs, der in der von ihm mitgegründeten und mit herausgegebenen, allerdings sehr kurzlebigen Literaturzeitschrift „Kazamarov“ erste Gedichte publizierte. Daneben versuchte er sich an einem Film und besuchte nach Erlangung des Diploms für einige Zeit die berühmte französische Filmhochschule École nationale supérieure Louis Lumiére, die er aber 1981 ohne Abschluss wieder verließ. 1983 nahm er einen Job bei einem Beratungsunternehmen an, wechselte aber recht schnell ins Landwirtschaftsministerium und begann nebenher Literaturkritiken, Essays und Gedichte zu veröffentlichen.

Erste Erfolge und das Mittel der Provokation bei Michel Houellebecq

Ab 1991 widmet sich Houellebecq dann ganz der Arbeit als Schriftsteller, erregt aber zuerst Aufsehen mit Gedichten und eher Literaturhistorischen Arbeiten als mit Prosatexten. Der nationale und dann auch internationale Durchbruch kommt dann letztendlich mit Houellebecqs erstem Roman „Ausweitung der Kampfzone“, der seinen Ruf als Provokateur und – später – die Bezeichnung als „nouveau réactionaire“ begründete. Die Provokation nutzt Houellebecq allerdings gleichzeitig höchst geschickt, um sich im Literaturbetrieb zu positionieren und von sich reden zu machen, ähnlich wie sein Freund Fréderic Beigbeder, dessen Werke auch thematische Überschneidungen mit Houellebecq aufweisen, der allerdings in Deutschland eher wenig gelesen wird. In gewisser Weise ähnelt Houellebecq damit dem – ebenso skandalträchtigen – wundervollen Louis-Ferdinand Celine, einem genialen Schriftsteller, ein Erzkonservativer und Unterstützer des Vichy-Regimes während der deutschen Besatzung Frankreichs im zweiten Weltkrieg. Während Celine seine reaktionäre Haltung vor allem in der politischen Gemengelage des frühen 20. Jahrhunderts und weniger in seinen Werken auslebte, ist dies bei Houellebecq, abgesehen von provokativen Interviews, eher genau umgekehrt.

Michel Hoeullebecqs Werk

In Deutschland ist vor allem das Prosawerk Houellebecqs bekannt. Seine Beschäftigung mit und Produktion von Lyrik hingegen fristet – wenn überhaupt mal eine Übersetzung herauskommt – ein Schattendasein und soll daher hier nicht eingehender besprochen werden, auch wenn allein die Tatsache, dass Gedichte von Beginn an einen wichtigen Platz im Oeuvre des Autors einiges über die häufig auf Skandal und Gesellschaftskritik beschränkte Kritik und Lesart seiner Romane aussagen mag. Thematisch steht in Houellebecqs Prosawerken die Beschreibung und Kritik der modernen, narzisstischen Konsumgesellschaft der westlichen Industrieländer im Vordergrund. Seine Hauptfiguren zeichnen sich dabei beinahe durchweg durch ihre Egozentrik und dem Leiden unter dieser aus. Eine für manchen Geschmack etwas ausladend und unnötig dramatisiert dargestellte Eigenheit der Romane ist die sexuelle Frustration beinahe aller Charaktere, die diese je nach Naturell durch Religion, Übersexualisierung, Orgien, zwanghafte Masturbation oder Enthaltsamkeit zu bekämpfen versuchen. Der Tenor beinahe aller Romane ist dabei fast schon fatalistisch, eine Ausnahme macht der sich auch mit der Lehre des Raelismus (eine Art wissenschaftlich-rationaler Ufo-Glaube, auch wenn sich das auf den ersten Blick auszuschließen scheint) beschäftigende Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ (La Possibilité d´un île, 2005).

Stil und ein unheimlicher Zufall

Die Sprache ist dabei klar, kalt, eher beschreibend, als gefühlvoll und die Hauptfiguren der Romane erzählen oder erleben diesen meist in einer Ich-Erzähler Perspektive. Kritische Stimmen werfen daher gerne schon einmal die Hauptfiguren und den Autor in eins, auch wenn dies – natürlich – nicht wirklich korrekt ist, die skandalumwitterte Gestalt Houellebecqs aber noch interessanter erscheinen lässt. Schon beinahe unheimlich ist die Koinzidenz des Erscheinens von Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ (Original: Soumission), in dem Frankreich im Jahr 2022 ein islamischer Staat wird, samt Scharia, Polygamie und der Aufhebung der Trennung von Staat und Kirche, mit dem am selben Tag stattfindenden Attentat auf das in Paris ansässige französische Satiremagazin Charlie Hebdo, bei dem auch ein enger Freund des Autors getötet wurde. Nach dieser Katastrophe zog sich Houellebecq für einige Zeit aus dem öffentlichen Leben komplett zurück. Sein nächster Roman „Serotonin“ erscheint im Januar 2019 und beherrschte vor Weihnachten die Seiten für Literaturkritik eigentlich aller größeren französischen Zeitungen. Der Erfolg steht also jetzt schon fest, gerade weil viele Kritikerinnen und Kritiker diesen neuen Roman als Houellebecqs bislang besten ausgemacht haben wollen.