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Der Literatur Nobelpreisträger Orhan Pamuk ist einer der wichtigsten Literaturschaffenden der Türkei und vielleicht der gesamten islamischen Welt. Mit seinem ebenso liebevollen wie kritischen Umgang mit seiner Heimatstadt Istanbul und seinem Heimatland Türkei wird ihm dabei immer wieder die Rolle eines politischen Schriftstellers und Aufklärers zugewiesen. Gegen diese richtet sich der Autor zu Recht, wenn er in einem Interview mit der Welt erklärte: „Meine Aufgabe besteht nicht darin, den Europäern die Türken und den Türken die Europäer zu erklären, sondern gute Bücher zu schreiben.“ Wikipedia

Steckbrief Orhan Pamuk

  • Daten: 07. Juni 1952 -
  • Geburtsort: Istanbul
  • Sprache(n): Türkisch
  • Hauptwerke o. Reihen: Istanbul – Erinnerung an eine Stadt, Schnee (u. a.)
  • Rezensierte Bücher: Schnee, Rot ist mein Name
  • Genres: Gesellschaftsromane, Parabeln
  • Webseite: Autorenwebseite Hanser Verlag
  • Adaptierte Filme/Serien: Kurzfilme & Dokumentation
  • Lesestoff: für alle, die gute Bücher mögen, die auch schon mal auf mehreren Ebenen funktionieren

Das Politische im Unpolitischen – Pamuk als Schriftsteller zwischen Ost und West

Orhan Pamuk wollte eigentlich Maler werden. Wie er selbst sagte, gelang ihm dies nicht, weil Malen Stummheit bedeutet. Stummheit aber war 1974, als er ernsthaft mit der literarischen Arbeit begann, für Pamuk keine Alternative – das Militär hatte die Politik im Griff und im Sommer wurde mit der „Operation Attila“ der Südteil von Zypern besetzt. In gewisser Weise ist da also ein Impuls, sich einzumischen, sich zu engagieren, zu sprechen, der sich bis heute auch durch seine Romane zieht, auch wenn diese ganz sicher keine politische Literatur sind. Ihre Bedeutung erhalten sie, insbesondere innerhalb der sich während der letzten Jahrzehnte so rasend verändernden Türkei, vor allem durch die Themen, die immer wieder im Mittelpunkt der Romane Pamuks stehen. Neben Istanbul, der Malerei (immer noch eine Leidenschaft) und natürlich seiner Liebe zur Literatur ist das häufig der Konflikt bzw. die Dichotomie zwischen Ost und West, zwischen Orient und Okzident und ihren Traditionslinien.

Orhan Pamuks Schnee – die Türkei als Mikrokosmos

Eine gewisse Ausnahme von Pamuks „unpolitischem“ Schreiben macht der Roman „Schnee“, in dem der Dichter Ka nach 12 Jahren politischem Asyl in Deutschland in die Türkei zurückkehrt und in Kars, einer abgelegenen Stadt am Schwarzen Meer, seine alte Liebe Ipek aufsucht, eine Reihe von Selbstmorden untersucht und journalistische Recherchen anstellt. Kars wird von Pamuk zu einem Mikrokosmos der türkischen Gesellschaft und ihrer inneren Konflikte ausgestaltet, in der die handelnden Figuren teils disparate Ansichten vertreten, durchaus auch völlig entgegengesetzt zu den politischen und gesellschaftlichen Auffassungen des Autors, eine Form, die man so auch bei Dostojewski finden kann. Pamuk selber als Erzähler hält dabei eine Äquidistanz zur Hauptfigur Ka und den anderen auftretenden Charakteren und lässt im Hintergrund einen Freund Kas als Erzähler agieren, der die Ereignisse anhand der Tagebuchaufzeichnungen und Notizen Kas erzählt.

Erzählen als interreferenzielles Medium: Pamuks Verwendung von Bedeutungsschichten

Diese Art von aufwendigen Erzählsituationen und die Verstrickung verschiedener Handlungsstränge samt eingeschobener Märchen und wie Parabeln funktionierender Fabeln sind ein Markenzeichen Pamuks und zeugen, neben den vielfältigen Anspielungen und Referenzen, die er in seine trotzdem handlungsreichen Romane einfließen lässt, von seiner Virtuosität. Die meisten seiner Romane lassen sich so gleich auf zwei Weisen lesen: als komplexe Geschichten und als ein Referenzgebäude, dem man mit geübtem Auge und dem nötigen Wissen noch einmal beinahe genau so viel Genuss abgewinnen kann.

Orhan Pamuks Beginn der Schriftstellerkarriere und erster Erfolg

Als Pamuk 1974 ernsthaft zu schreiben begann, hatte er gerade nach einem abgebrochenen Architekturstudium ein Journalismus Studium angefangen, das er 1976 abschloss. Von 1974 bis 1982 lebte Pamuk zurückgezogen in Schreibklausur und ohne eigenes Einkommen hauptsächlich bei seiner Mutter in einem Sommerhaus auf einer der Prinzeninseln im Marmarameer. Nach der Publikation von „Cevdet und seine Söhne“ lebte er mit seiner Frau bis auf einen mehrjährigen Aufenthalt in den USA, wo diese promovierte, in Istanbul. Der auch internationale Erfolg kam für Pamuk in den 90er Jahren mit der Publikation von „Das schwarze Buch“ und dem in der türkischen Literaturszene gefeierten Publikumserfolg „Das neue Leben“, das auf die deutsche Romantik und Novalis (Die blaue Blume) verweist und bis heute als eines der literarisch bedeutendsten Bücher Pamuks gilt.

Nobelpreisträger und Aushängeschild – Orhan Pamuk als Botschafter der Türkei

Als wichtige Figur der türkischen Literatur, dessen Stimme auch international mehr und mehr wahrgenommen wurde, rückten auch Pamuks politische Einlassungen mehr ins Rampenlicht. So setzte er sich für Salman Rushdie ein und forderte gemeinsam mit anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern in der Türkei die Freilassung seines kurdischen Kollegen Yaşar Kemal. Abgesehen von seinem Einstehen für die Rechte der in der Türkei marginalisierten und zu dieser Zeit einmal wieder verfolgten kurdischen Bevölkerung, ist Pamuk ein großer Verfechter des Beitritts der Türkei zur EU, auch wenn dies heute im Spannungsfeld des wirtschaftlichen Aufstiegs der Türkei und dem autoritären Stil Erdogans kaum mehr möglich erscheint. In einem Interview mit einer Schweizer Zeitung äußerte Pamuk sich zudem öffentlich zum Völkermord an dem armenischen Volk, auch wenn er das Wort Völkermord selbst nicht benutzte, woraufhin er in der Türkei zu einer Hassfigur für nationalistische Kreise wurde und sich unter anderem auch vor Gericht verantworten musste, das ihn 2006, beinahe parallel zur Verleihung des Literaturnobelpreises, zu einer eher milden Geldstrafe verurteilte. Das Verfahren erzeugte weltweit Aufsehen und wurde vielfach von Künstlerinnen und Künstlern wie Politikerinnen und Politikern verurteilt. Gleichzeitig wurde Pamuk eines der Ziele der radikalen nationalistischen Untergrundorganisation Ergenekon, die eine ganze Reihe von Mordanschlägen geplant haben soll. Im Februar 2007 reiste Pamuk in die USA aus. Dort lehrte er für mehrere Jahre an verschiedenen Universitäten, darunter Harvard, Columbia University und als Writer in Residence am Bard College. Pamuk lebt und arbeitet wie eh und je in Istanbul, inzwischen wieder in dem Haus, in dem er als Teil der Großfamilie aufgewachsen ist. Er schreibt inzwischen seit 40 Jahren und dürfte einer der wenigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller seiner Generation – und überhaupt – sein, die nie einer anderen Erwerbstätigkeit nachgegangen sind.