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Roberto Bolano

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Der früh verstorbene chilenische Schriftsteller Roberto Bolaño führte lange Zeit das Leben eines Bohemien. Erst nach seiner Heirat und der Geburt zweier Kinder kam er zur Ruhe und begann neben seiner literarischen Arbeit auf einem spanischen Campingplatz zu arbeiten. Der Ruhm stellte sich – wie so oft – erst posthum wirklich ein. Heute gehört Bolaño mit zu den einflussreichsten lateinamerikanischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern seiner Generation. Wikipedia

Steckbrief Roberto Bolaño

  • Daten: 28. April 1953 bis 14. Juli 2003
  • Geburtsort: Santiago de Chile
  • Sprache(n): Spanisch (Englisch, Deutsch)
  • Hauptwerke o. Reihen: Der Lumpenroman, 2666
  • Rezensierte Bücher: 2666
  • Genres: Gesellschaftsroman
  • Webseite: Autorenwebseite Hanser Verlag
  • Adaptierte Filme/Serien: zwei Filme/Drehbücher (teilweise basierend auf seinen Romanen)
  • Lesestoff: für alle, die sich für lateinamerikanische Literatur interessieren, Leser und Leserinnen, die surrealistisch-tragische Plots schätzen

Linker, Poet, Romancier & Gelegenheitsarbeiter: Roberto Bolaño als Bohemien

Es ist eine ungewöhnliche Biographie, auf die man bei Bolaño stößt – und bei der man beinahe sagen möchte: nicht nachmachen! Die Kindheit verbringt er im ganzen Süden Chiles, vielfaches umherziehen, dann zieht er als Jugendlicher mit den Eltern nach Mexiko Stadt, wo der anfänglich unter Legasthenie leidende Bolaño die Schule schmeißt und sich in linken Kreisen als Journalist durchschlägt. Danach steht Bolaños eigenen Aussagen zufolge eine Rückkehr nach Chile, um sich der „Revolution“ unter Salvador Allende anzuschließen. Nach dem Militärcoup von Pinochet soll er im Gefängnis gesessen haben, aus dem er nur durch die Hilfe von ehemaligen Schulkamerad*innen entkommen konnte. Diese wie andere Episoden aus dem Leben Bolaños sind kaum zu überprüfen und wurden mehrfach von Bekannten in Zweifel gezogen. Das Fabulieren erstreckt sich hier – scheinbar – auch auf biographische Momente. Gesichert hingegen ist seine lyrische Arbeit, seine teilweise radikale Ablehnung der chilenischen Literaturszene (insbesondere Isabel Allende, die er mehrfach scharf angriff) und seine allgemeine Abneigung gegen den Literaturmarkt. In Mexiko City war der damals eigentlich völlig unbedeutende Dichter eine gefürchtete Figur in Verlagen und bei Literaturveranstaltungen, bei denen er gerne störend auftrat. Mitte der 70er war Bolaño Gründungsmitglied einer aus in etwa zwanzig jungen Dichtern bestehenden, literarischen Bewegung, dem “Infrarealisums”, eigentlich ein Begriff, der aus der Zeit des Surrealismus und Dadaismus stammt. Später nähert sich der Autor dieser Episode immer mal wieder auf parodistische Weise, wie im Roman “Die wilden Detektive” (Original erschienen 1998, in der Deutschen Übersetzung 2002 bei Hanser). Verwundern kann dies kaum bei einem Schriftsteller, der sich lange Zeit dem Markt verweigert hat und das unstete, finanziell sicher meist katastrophale Boheme-Leben eines Beatnik gelebt hat, wie es in vielen Figuren seiner späteren Prosa Arbeiten immer mal wieder parodiert wird.

Bolaño in Spanien

Zur Ruhe kommt dieser ruhelose Dichter erst nachdem er nach Spanien ausgewandert ist und geheiratet hat. Im kleinen katalanischen Dorf Blanes, in dem er bis zu seinem Lebensende leben sollte, ging er fortan allen möglichen Hilfstätigkeiten nach, Tellerwäscher, Hilfskoch, Angestellter auf einem Campingplatz, und beginnt Nachts Prosa zu schreiben, um zu versuchen für seine Familie, insbesondere seine zwei Kinder, Geld zu verdienen und diese finanziell besser abzusichern. Der große Erfolg, der dem Romancier Bolaño, im Herzen bis zuletzt Dichter, beschieden war, hat sicher auch ihn überrascht. Bevor sein Stern aber richtig am literarischen Himmel aufgehen sollte, verstirbt er an einem langen Leberleiden. Seitdem wurden eine ganze Reihe von Arbeiten aus dem Nachlass posthum veröffentlicht, an erster Stelle der gewaltige, über tausendseitige Roman mit dem kryptischen Titel “2666”, an dem Bolaño die letzten fünf Jahre seines Lebens gearbeitet hat und der – anders als die vorher auf Deutsch veröffentlichten Bücher des Autors – einen regelrechten medialen Rummel auslösten und ihn auch hierzulande weit über die Grenzen von Liebhaberinnen und Liebhabern lateinamerikanischer Literatur bekannt machte.

Früher Tod und posthumer Ruhm – die Auswirkungen des Romans 2666

Wegen seines frühen Todes bleibt das Werk des Autors eher schmal und insbesondere seine Lyrik, die ihm immer am meisten am Herzen gelegen hat, ist bis heute nicht komplett ins Deutsche übersetzt. Klar: Lyrik lohnt sich nicht und ist – eine Faustregel des Literaturbetriebes – eigentlich immer ein Zuschussgeschäft. Oder anders gesagt: Lyrik muss man sich leisten können. Als Autorin oder Autor wie als Verlag. Aber mit seiner wirklich fantastischen und mit zahlreichen spanischen, lateinamerikanischen und internationalen Preisen ausgezeichneten Prosa hat er sich insbesondere posthum eine weltweite Fangemeinde geschaffen und wäre am Ende eigentlich ein aussichtsreicher Prätendent für den Literaturnobelpreis geworden, wäre da nicht der frühe Tod dazwischengekommen. Stilistisch orientiert sich Bolaños Literatur vielleicht noch am ehesten an Borges, der auch sonst, vor allem neben dem hierzulande eher weniger bekannten chilenischen Dichter Nicanor Parras, eines der literarischen Vorbilder des Autors war. Auch Einflüsse der Beatliteratur kann man zwischen den Zeilen ebenso immer wieder erahnen wie Techniken, die eher aus der modernen Lyrik entnommen sind und sich in Wiederholungen, dem Sprachrhythmus und einer sehr offenen Erzählstruktur und Stimmenvielfalt widerspiegeln. Bolaños Werk ist dabei ganz sicher das, was man landläufig als “ernste” Literatur bezeichnet und verhandelt auch immer wieder politische und zeitgeschichtliche Themenkomplexe. Davon sollte man sich aber bei Gott nicht abschrecken lassen. Dieser Autor hat einen fulminanten Humor, einen feinen Sinn für Ironie und Parodie und schreckt vor allem nicht vor Dreck, Sex, Alkohol und dem prallen Leben zurück, die eigentlich seine, des am Rande der Gesellschaft stehenden Beatpoeten, Themen sind.