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Sybille Berg

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Die in Zürich und Tel Aviv lebende Schriftstellerin und Dramatikerin Sibylle Berg gehört inzwischen zum festen Inventar der deutschsprachigen Literatur- und Kulturszene. Trotzdem wird sie bei den deutschen Buchpreisen, Shortlists und so weiter vom Literaturbetrieb oft eher stiefmütterlich behandelt, obwohl sie eindeutig zu den herausragenden Schriftsteller*innen ihrer Generation gehört. Neben ihren Romanen spielen auch ihre Theaterstücke und Kolumnen für verschiedene Zeitungen, so zum Beispiel für SPON (Spiegel Online), eine Rolle für ihre weite Bekanntheit. Die engagierte Literatin ist nicht nur für ihre bissige Gesellschaftskritik und den immer wieder in ihren Werken durchscheinenden Feminismus bekannt und gefürchtet, sondern sie setzt sich auch für die Digitalen Grundrechte und ein freies Internet ein. Die umtriebige Schriftstellerin zelebriert ihre Lesetouren als popkulturelles Event und nimmt auf diese gerne Musiker*innen oder DJs mit. Zuletzt erschien im Jahr 2019 ihr neuester und insgesamt schon 14. Roman GRM. Brainfuck. Wikipedia

Steckbrief

  • Daten: geboren am 02. Juni 1968
  • Geburtsort: Weimar (damals DDR)
  • Sprachen(n): Deutsch
  • Hauptwerke oder Reihen: Die Fahrt, Ende gut (u. a.)
  • Rezensierte Bücher: Ende gut
  • Genres: gesellschaftskritische Bewusstseinsromane, meist aus der Ich-Perspektive einer fiktiven Erzählerin erzählt
  • Webseite: http://www.sibylleberg.com
  • Adaptierte Filme/Serien: -
  • Lesestoff: für Liebhaber*innen bissiger Gesellschaftskritik, die vor teils stilistisch anspruchsvollen Kompositionen nicht zurückschrecken

Von Weimar gen Westen – die Puppenspielerin Sybille Berg

Sybille Berg ist als Tochter eines Musikprofessors und einer Bibliothekarin in Weimar geboren und in der DDR aufgewachsen. Nach der Scheidung der Eltern lebte Berg aufgrund der Alkoholsucht ihrer Mutter für einige Zeit bei entfernten Verwandten, bevor sie mit zehn wieder zur Mutter zog. Nach der Schule machte Sybille Berg eine Ausbildung zur Puppenspielerin, nicht gerade der typischste Beruf. 1984 stellte sie einen Antrag auf Ausreise, der noch im selben Jahr bewilligt wurde. Zuerst kam Berg in einem Aufnahmelager in Berlin-Marienfelde unter, während ihre Mutter in etwa zur gleichen Zeit Selbstmord beging. Nach einem Aufenthalt an der Scuola Teatro Dimitri in Italien zog Berg nach Hamburg und begann Politikwissenschaften und Ozeanografie zu studieren. Daneben jobbte sie als Vertreterin, Putzfrau, Sekretärin und Gärtnerin und begann zu schreiben und als Autorin für verschiedene Magazine zu arbeiten. Nach einem schweren Autounfall 1992 musste ihr Gesicht mehrfach operiert werden.

Das Debüt: schwere Geburt aber Riesenerfolg

Sybille Bergs Debütroman „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ erschien 1997 im Leipziger Reclam Verlag. Zuvor hatten 50 andere Verlage das Manuskript abgelehnt. Also alles andere als ein Selbstläufer – kein Wunder bei der apokalyptisch-bissigen und ironisch-sarkastischen Erzählweise, die typisch für Sybille Berg ist und sich wie ein roter Faden durch ihr gesamtes Werk zieht. Einen Roman von Sybille Berg muss man eben auch aushalten – in seiner Düsterheit, seiner Dringlichkeit, dem alles vernichtenden (Kultur-)Pessimismus. Umso höher muss man es Reclam anrechnen, dass sie das Wagnis dieses Debüts eingegangen sind. Belohnt wurden beide – die Schriftstellerin und ihr Verlag – durch den großen Erfolg des Buches, das sich rund einhunderttausendmal verkaufte. Eine echte Ausnahme bei einem Debütroman und dann noch einem, der sozusagen „anspruchsvolle“ Literatur ist, zu der man Bergs Prosa unbedingt rechnen muss, wenn man diese Einteilung denn überhaupt vornehmen will.

Stil und Themen in Sybille Bergs Prosa

Sybille Bergs Sprache ist klar, manche würden vielleicht sogar sagen kalt und prägnant. Hinzu kommt die seltene Begabung, einen sarkastisch-bösen, dabei immer auch humorvollen Blick auf die Welt zu werfen und diese in Worte zu kleiden, die zu der Wirklichkeit der erzählenden Person passen wie ein Set Designerkleidung. Bei aller Vermeidung von Pathos und klassischem Erzählen (die meisten Bücher sind eher in Abschnitte unterteilte und teils mit halb-dokumentarischem Material angereicherte, dahin mäandernde Gedankenströme) scheut Berg nicht vor Poetik, kreativer Wortschöpfung oder der Übernahme von Schreibweisen zurück, die eher aus der gesprochenen Sprache stammen. Insgesamt merkt man den Prosatexten die intensive Beschäftigung mit Dramatik und Sprache – der gesprochenen wie geschriebenen – an, die am Ende schon mit ihrer Ausbildung als Puppenspielerin begann. Die Themen – und diese wiederholen sich in fast allen Werken der Autorin – sind vor allem das Individuum und seine als unmöglich aufgefasste Stellung in der neoliberalen Welt, ein Kampf des „Ich“ gegen die Windmühlen des Systems und seine Flachheiten, Absurditäten, Zumutungen und Schrecklichkeit wie die von Lifestyleredakteur*innen kreierte Wirklichkeit der Frauenzeitschriften. Bei allem scheinbaren Pessimismus, aller Übertreibung und Zuspitzung verbergen sich in den manchmal regelrechten Hasstiraden viele richtige und wichtige Beobachtungen und Wahrheiten über unsere Zeit, unsere Gesellschaft und die Illusionen, die sich fast jede und jeder jeden Tag macht, ja machen muss, um zu „funktionieren“. Das erinnert an Houellebeqc oder Céline, diese beiden Großen und Schlechtgelaunten der französischen Literatur, die mit ganz ähnlichen Themen und Ansätzen, wenn auch mit ganz andrer Sprache (und hier ist nicht die Fremdsprache gemeint) ihre Wortskalpelle an die Wirklichkeit ihrer Zeit anlegen. Damit ist Sybille Berg und ihr Sound die wohltuende Antithese zu der Biedermeier Erzählkultur von Familiengeschichten hinter ostpreußischen Kachelöfen, die sich immer weiter auszubreiten beginnt und eine Art intellektueller Verödung der zeitgenössischen deutschen Literatur mit sich bringt.

Sybille Bergs Arbeit als Dramatikerin, Regisseurin und Kolumnistin

Neben ihrem Prosawerk ist Sybille Berg auch eine fleißige Dramatikerin und hat mehr als zwanzig Stücke veröffentlicht und teils selber als Regisseurin realisiert, darunter auch eine Bearbeitung ihres Debütromans. Daneben sind in den letzten Jahren auch Hörspiele und Hörbuchbearbeitungen ihrer Prosawerke entstanden, die teils mit hochkarätigen Musiker*innen gemeinsam aufgenommen wurden. Eine gekürzte Lesung von Sex II wartet zum Beispiel mit Musik von Rammstein, Philipp Boa und Element of Crime auf. Dem weitesten Publikum ist Berg trotz aller Erfolge als Schriftstellerin aber wohl durch ihre Kolumnen bekannt, insbesondere durch die seit 2011 regelmäßig auf Spiegel Online erscheinende Kolumne S.P.O.N – fragen Sie Frau Sybille.

Lehrtätigkeit und weitere Projekte

Seit 2013 hat Sybille Berg einen Lehrauftrag für Dramaturgie an der Züricher Hochschule der Künste. Neben ihren vielen Tätigkeiten findet sie trotzdem immer noch Zeit, auch manchmal Liedtexte für befreundete Bands und Sänger*innen zu schreiben, darunter z. B. den Text zum Lied Speed von Philipp Boa and the Voodooclub. 2016 und 2017 sprach Berg zudem eigene satirische Texte über die Gäste für die ZDFneo Talkshow Schulz & Böhmermann ein.