Deniz Utlu

Deniz Utlu, geboren 1983, kommt aus Hannover und lebt in Berlin. Ein Großstadtkind, einer mit Migrationshintergrund und ohne Teilhabe am neudeutschen Literaturstudieren in Leipzig oder Hildesheim. Gut so. Stattdessen Studium der Volkswirtschaft in Berlin, etwas Reelles sozusagen. Noch in Hannover gründet Utlu zudem das bis heute erscheinende Kultur- und Gesellschaftsmagazin freitext. Auf ein Stipendium der Autorenwerkstatt Prosa Prognosen des literarischen Colloquiums und einen Aufenthalt in Paris (2006-07) folgen erste kleine Achtungserfolgen bei Literaturwettbewerben, dann der Abschluss des Studiums und freie journalistische Arbeiten für verschiedene Zeitungen im In- und Ausland. In den 2010er Jahren kommt es zur Hinzuwendung Utlus zum Theater, erst Kuratorisches am Ballhaus Naunynstraße, später Mitarbeit am Gorki Theater, schließlich werden seine ersten Theaterstücke uraufgeführt. Dann, 2014, endlich, der erste Roman: Die Ungehaltenen, erschienen beim inzwischen wieder eingestellten Imprint Graf des Ullstein-Verlags.

Migrationshintergrund und so

Wir müssen leider drüber sprechen. Immer wieder Migrationshintergrund. In diesem wie in den meisten anderen Fällen von Schriftsteller*innen, die auf eutsch schreiben, aber auf keine wie auch immer geartete deutsche Ahnenreihe zurückblicken können, schwingt immer unterirdisch, zwischen den Zeilen vergraben so etwas wie „Oh der (oder die) ist anders!“ mit. Meist ist das – zum Glück – totaler Schwachsinn. Viel interessanter sind die Perspektiven, die diese Schriftsteller*innen einnehmen, wie und warum und wozu sie mit ihrem Hintergrund umgehen. Utlu erzählt in seinem Debütroman „Die Ungehaltenen“ eine Liebesgeschichte. Natürlich keine einfache, glatte, mag sein, dass das sogar unmöglich wäre, immerhin ist Glück und Zufriedenheit bis heute sozusagen die Nemesis des Erzählens überhaupt. Wo keine Konflikte und kein Wollen sind, da ist auch keine Geschichte. Der Roman siedelt sich in der türkischen Community an, ja, geht aber über dieses Setting auch hinaus. Inwieweit der Autor dabei auch Autobiografisches verarbeitet, ist schwierig zu sagen, aber die Sätze sind mit Leben und Wirklichkeit gefüllt, mal poetisiert, mal so profan wie der Gang bis zum Dönerladen an der Ecke. In dieser irgendwie ehrlichen Poetik liegt auch die Stärke des Erstlings von Deniz Utlu. Man hat das Gefühl, hier erzählt einer, der das eigene Leben und Erleben mit literarischem Fabulieren zu verbinden weiß. Das hört sich jetzt erst einmal banal an, leider ist das aber heute durchaus eine Qualität, die man nicht gerade allen  Nachwuchsautor*innen zuschreiben kann. Und dann ist da das, was man landläufig gern als Ausfransen bezeichnet. Klaus Hübner vom Tagesspiegel sah darin in seiner Rezension einen Konstruktionsfehler – wenn auch keinen gravierenden. Man kann das auch anders sehen. Gerade das Ausfransen rettet dieses Buch vor der „Migrationshintergrund-Falle”. Überhaupt ist das Ausfransen, Wuchern, Abschweifen, sind die Nebenkriegsschauplätze eines jeden Romans meiner Ansicht nach etwas Wundervolles und befreit Leser*in wie Autor*in manches Mal aus dem engen Korsett des „Erzählten“. Kann man, wie schon angeführt, natürlich auch anders sehen.

Sprache

Da fragt sich der und die eine oder andere sicher: Gibt es da eine besondere postmigrantische Sprache der Gastarbeiterkinder? Hier nicht, im Allgemeinen auch eher nicht, bei Zaimoglu ein bisschen. Am Ende ist die Frage auch falsch gestellt. Interessanter als „Lokalkolorit“, wie ich das hier mal nennen will, ist doch das Eigene, was ein Autor oder eine Autorin in die Sprache bringt, seine oder ihre Stärken und Schwächen, jenseits von Kölscher Mundart und Hamburger Labskaus Rezepten, die seit Omas Zeiten in der Familie weitergegeben werden. Literatur hat zwar immer etwas mit Herkunft und Vergangenheit, mit Erleben und Erfahrungsräumen zu tun, sie schafft aber aus diesem etwas Neues – und das ist, meine ich, entscheidend. Also die Sprache. Außer den häufig türkischen Namen springt die leise Poesie der Beschreibung ins Auge und das zumindest gefühlt gelebte dieser Sätze wie: „Meine Stadt bestand aus zwei Straßen. Die eine führte ins Hühnerhaus, die andere zu Onkel Cemal.“ In den zwei mageren Sätzen verbirgt sich eine kleine Welt und setzt sich die Beschränktheit und Weite zwischen Hühnerhaus und Onkel Cemal, der, wie man aus den zwei Sätzen da oben schon sehen kann, eine tragende Rolle in dem Roman zu spielen hat. Interessanterweise ist die Sprache, derer sich Utlu bedient, trotz der gelebten Ferne zu den institutionellen Literaturlehrstätten immer noch recht nah an diesen. Mit Variationen, klar, vielleicht auch insgesamt weniger angestrengt, als man dies manchen der Abgänger*innen der Literaturinstitute anmerkt, aber durchaus im Zeitgeist, sozusagen modisch korrekt. Das kann man schade finden. Muss man vielleicht auch. Andererseits ist der richtige Sound nicht selten wichtig, um überhaupt bei einem Verlag unterzukommen. Dafür geht Utlu sparsamer und ernsthafter mit Ironie und Selbstironie um, als es viele seiner Altersgenoss*innen tun, was man ihm hoch anrechnen muss. Der schnelle Lacher hat so manches Buch zu einem Erfolg geführt – leider vergisst man es nur zu häufig ebenso schnell wieder. Das wird einem mit „Die Ungehaltenen“ nicht passieren.

Utlu ist eine Entdeckung wert. Das ist ein Buch, das ebenso poetisch wie lebensnah ist und dem man sich einmal widmen sollte. Noch gibt es keinen angekündigten zweiten Roman des Autors, aber man wird hoffen dürfen. Auch wenn da dieser typische Sound deutscher Nachwuchsschriftsteller und -schriftstellerinnen mitschwingt, ist da das nötige Eigene, um neugierig zu sein, wie es mit diesem Autor weitergeht.

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