Die Versteigerung von No. 49

Extrem fotoscheu – Thomas Pynchon

Die Versteigerung von No. 49 (Originaltitel: The Crying of Lot 49) ist der wohl am meisten gelesene Roman des amerikanischen Schriftstellers Thomas Pynchon und wird zu den Klassikern der postmodernen Literatur gezählt. Anders als viele andere Werke Pynchons ist die Handlung von Die Versteigerung von No. 49 linear (im krassen Gegensatz zum Beispiel zu Die Enden der Parabel, im Original Gravity´s Rainbow) und gilt manchen daher als der unpynchoneskeste der Romane des Autors. Trotzdem darf man sich als Leser hier nicht auf eine einfache, durch Handlung getriebene Erzählung freuen. Die Akteure wie die Handlung sind doppelbödig, voller Anspielungen und Vexierspiele, voll Sprachwitz und verschiedenen Bedeutungsebenen, denen man als Leser nachspüren, auf die man sich aber nie verlassen kann. In bester postmoderner Tradition ist hier alles Spiel, Meinung, Perspektive, Wahrheit (nach der im Buch auch von der Protagonistin durchaus gesucht wird) existiert nicht. So ist denn das Ende des Buches auch die anstehende Versteigerung einer Briefmarkensammlung, auf der endlich eine (angenommene) geheimnisvolle Person und (ebenso nur angenommene) Geheimorganisation enttarnt werden soll. Mit dem betreten der Auktion durch die Protagonistin ist allerdings Schluss. Keine Auflösung, nicht einmal ein Hinweis oder die Möglichkeit einer Deduktion wird geboten. Wieso auch. Das wäre wohl eine Antwort der Postmoderne und deren Spiel mit Möglichkeiten statt Wahrheiten.

Mr. Inveraritys Nachlass

Der Roman die Versteigerung von No. 49 beginnt damit, dass Oedipa Maas, die Protagonistin des Romans, von einem ehemaligen Liebhaber, dem Immobilienspekulanten Pierce Inverarity gemeinsam mit dem Anwalt Dr. Metzger als Vollstreckerin seines Testamentes eingesetzt wird. Nach anfänglichen zweifeln und der – nicht unberechtigten – Frage, wieso Inverarity, den sie seit Jahren kaum gesehen oder gesprochen hat, gerade sie als Vollstreckerin seines letzten Willens eingesetzt hat, macht sich Oedipa von ihrer Heimatstadt im Inneren, ländlichen Kalifornien auf nach San Narcisco, wo Inverarity gelebt und gearbeitet hat. Zurück bleibt ihr Ehemann Wendell, genannt Mucho Maas, ein mittelmäßig erfolgreicher Disc Jockey. Was und ob Oedipa eigentlich arbeitet oder einer vergleichbaren Tätigkeit in der einen oder anderen Form nachgeht, wird hingegen nie wirklich angesprochen. In San Narcisco nimmt Oedipa sich ein Motel und lernt dann neben der Teenie-band The Paranoids, die ihre Lieder mit einem falschen britischen Akzent singen, auch den Anwalt Dr. Metzger kennen. Gemeinsam schauen sie einen alten Film (mit arg surrealem Plot, gerade für Hollywood), in dem Metzger, ein ehemaliger Kinderfilmstar, auftritt. Dabei betrinken sie sich mit Tequila, spielen Strip-Botticelli (wofür Oedipa sich sinnigerweise erst alle ihrer mitgebrachten Kleidungsstücke übereinander anzieht) und fangen schließlich eine Art Affäre an.

Paradise, W.A.S.T.E und Aktivkohlefilter aus den Knochen von GI´s

In schneller Folge treffen von da an Szenen aufeinander. Zuerst in einem Nachtclub, in dem Oedipa (neben einem ziemlich schrägen, konservativem Typen mit Hass auf die staatliche Post) erste Hinweise auf eine seltsame Organisation mit dem Akronym Waste (für: We Await Silent Tristero´s Empire) findet und die als Symbol ein gedämpftes Posthorn hat. Bei einem Ausflug zu einem Paradise genannten Bauprojekt von Inverarity erfahren Oedipa, Dr. Metzger und die sie begleitenden Paranoids samt Groupies von einem höchst merkwürdigen Geschäft, in dem die italienische Mafia ebenso eine Rolle spielt, wie Inverarity (der scheinbar überall seine Hände drin hat). Die in einem italienischen See im 2. Weltkrieg von deutsch-italienischen Truppen versenkten Gebeine amerikanischer GI´s wurden geborgen und in die USA verkauft. Einige davon sollen am Grund des künstlichen Sees von Paradise liegen und Teil der als Attraktion für Taucher gedachten Unterwasserwelt sein, die Inverarity als teil des Ressorts plante. Der weitaus größte Teil der Gebeine soll hingegen an eine Zigarettenfirma gegangen sein (an der Inverarity nach Aussage Dr. Metzgers natürlich auch Anteile hält) und dort zu Aktivkohle-Filtern verarbeitet worden sein.

Eine elisabethanische Rachetragödie und jede Menge Clous

Oedipa arbeitet sich inzwischen tiefer in die Vermögensverhältnisse Inverarity´s ein und forscht daneben erfolglos ein wenig zu der seltsamen Organisation Waste. Schließlich besucht sie mit Dr. Metzger ein Theaterstück in einem Off-Theater, eine elisabethanische Rachetragödie shakespearischen Ausmaßes, allerdings, wie der Regisseur im Anschluss immer wieder beteuert, ohne jeglichen tieferen Anspruch. Es geht um den Sohn eines ermordeten Herzogs, der im Auftrag der Thurn & Taxis und deren Briefmonopol im Heiligen römischen Reich deutscher Nation arbeitet und der den Mord an seinem Vater rächen und sein Erbe antreten will. Neben Folterszenen, Orgien und der – seltsamen – Postthematik kommt am Ende auch noch ein verschwundenes Regiment vor, dass allem Anschein nach in eine Falle gelockt, gemordet und deren Körper anschließend in einem See versenkt wurden. Noch eine Koinzidenz und nicht die Letzte allein in diesem Theaterstück. Auf ihren Spaziergängen durch San Narcisco meint Oedipa dann auch noch geheime Briefkästen zu finden und glaubt der Geheimgesellschaft Waste endlich näher zu kommen. Die Versteigerung der Briefmarkensammlung Inverarity´s soll Aufschluss bringen. Da endet das Buch und der Leser kann nur Vermutungen anstellen.

Die Bedeutung der Namen

Oedipa Maas, Inverarity, Mucho Maas oder Oedipas Psychologe Dr. Hilarius – so gut wie alle Namen, die Pynchon in Die Versteigerung von No. 49 nutzt, haben eine hintergründige Bedeutung. Oedipa ist das weibliche Pendant zu Sophokles Oedipus, dem Königssohn, der Unglück über sich und seine Familie bringt, weil er auf der Suche nach Wahrheit ist. San Narcisco ist ein Kunstort, angelehnt an San Francisco, nur das als Heiliger hier Narziss steht, diese Figur aus den griechischen Mythen, die sich in ihr eigenen Spiegelbild verguckt. Klar endet auch das tragisch. Mucho Maas ist ein Wortspiel mit mucho mas, spanisch für: viel mehr, der Psychologe Hilarius ist mehr an LSD Experimenten (und sexueller Ausbeutung) seiner Patienten interessiert, denn an wirklicher Seelenheilkunde und entpuppt sich später auch noch als Ex-Nazi, hat einen Nervenzusammenbruch und wird zum – nach heutigen Maßstäben allerdings recht harmlosen – Shooter, der wild um sich schießt, Der Name Inverarity schließlich kommt einem vor wie die Mischung aus invert (innen, nach innen gewandt) und rarity (unveränderlich und Seltenheit) sowie eine Kleinstadt in Schottland. So könnte man diese Liste immer weiter fortführen und als Leser macht dieses Spiel mit Bedeutungsebenen mitunter tatsächlich einen Heidenspaß – einfach zu lesen und zu verarbeiten ist das aber bei weitem nicht.

Rezeption, Stil und Fazit

Die deutsche Übersetzung tut ihr bestes, den rasant-komplexen Stil Pynchons zu übertragen, der vielleicht am ehesten an Autoren wie Henry Miller erinnert, während der Inhalt von Pynchons Romanen global etwas kafkaesk-unzugängliches an sich hat. Im englischen Original ist der Roman sehr zu empfehlen, der Leser wird sich aber mit dem so gänzlich unamerikanisch komplizierten Englisch von Pynchon auseinandersetzen müssen, was schon nicht ganz leicht ist, aber auch keinen Finnegans Wake (gilt als eines der am schwierigsten zu lesenden Bücher in englischer Sprache, Autor ist James Joyce) Level erreicht. Kritiker sehen in Die Versteigerung von No. 49 eine kulturpsychologische Analyse der USA in den sechziger Jahren, die Problematiken von Sinnsuche, eine Absage an das Heilsversprechen der Puritaner, auf dem so viel in der US-amerikanischen Kultur gründet sowie als einen Anti-Detektivroman, bei dem die Suche Oedipas nach Sinn der Suche des Lesers nach Sinn in diesem Buch in etwa entspricht. Soll man es also lesen? Unbedingt. Pynchon ist nicht umsonst einer der großen Avantgardisten der Literatur, ein echter Geheimtipp, der schon lange kein Geheimtipp mehr ist, ein Autor, der immer wieder Diskurse anstößt, auslöst, auslotet und am Puls der Zeit zu bleiben scheint.

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