
Der 2017 erschienene Roman Elefant ist der neueste und insgesamt schon 10. Roman des Schweizer Schriftstellers Martin Suter. Das namensgebende Tier taucht hier allerdings in ganz unvermuteter Form auf: als gentechnisch designter Mini-Elefant, der darüber hinaus auch noch knallrosa ist und leuchtet. Entwickelt wird der Elefant im Buch – typisch Suter – aus reiner Gier von dem skrupellosen Dr. Roux, der mit dieser neuen Sorte von Elefant die Kinder reicher Scheichs beglücken will. Von dieser Ausgangsposition entwickelt sich dann aber etwas für Suter durchaus Untypisches: ein modernes Märchen, das Elemente der Fantasyliteratur mit der knallharten Welt des Business und mit östlicher Mythologie verbindet. So erscheint es nur stimmig, dass in diesem fast schon wilden Erzählstück nicht nur die Zeitebenen durcheinandergewirbelt werden, sondern mit dem Züricher Obdachlosen, Fritz Schoch, auch einen Protagonisten einführt, wie man ihn von Suter noch nicht kennt. Der Elefant selber bildet so etwas wie das Herzstück und den Dreh- und Angelpunkt der Ereignisse und ist natürlich nicht zufällig gerade ein Elefant und gerade rosa. Der Begriff „pink elephants“ (rosa Elefanten) bezeichnet im Englischen den Suff und die Nutzung anderer Drogen wie z.B. LSD. Dabei wurde zuerst die Farbe Rosa mit dem Rausch in Verbindung gebracht, der umgangssprachliche Terminus „pink elephants“ wiederum stammt ursprünglich aus dem Roman „König Alkohol“ von Jack London (1913).
Handlungsablauf von Martin Suters Elefant
Ein Bier, seine – citynahe – Erdhöhle zum Schlafen, der obdachlose Fritz Schoch ist zufrieden. Er hat, was er braucht in seiner Lage. Da läuft ihm ein leuchtender rosa Mini-Elefant zu. Der Anfang des Romans ist allerdings zeitlich eher schon dessen Ende und so springt die Handlung im Weiteren denn auch virtuos zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her, was auch schon mal verwirrend sein kann. Die ansonsten recht klare Struktur der Abläufe mildert dies aber stark ab. Springen wir also zurück: Dr. Roux entwickelt mit Hilfe von Elefantenleihmüttern in einem Wanderzirkus (natürlich völlig illegal) den leuchtenden rosa Mini-Elefanten. Dabei versucht sein Gegenspieler, der gute Tierarzt Dr. Reber, ihm das Handwerk zu legen. Was nicht so klappt. Der Elefant – Barishan – wird denn auch nicht von Dr. Reber vor Dr. Roux in Sicherheit gebracht, sondern von dem burmesischen Tierpfleger und Elefantenkünstler Kaung, der in dem leuchtenden rosa Elefanten ein mystisches Wesen sieht und es in seine Heimat schaffen will, weshalb er es gleich nach der Geburt entführt. Auch die „gute“ Wissenschaft und die Vegetarier*innen kriegen mit der kämpferischen Tierärztin Valerie, die sich für das leuchtende Wesen einsetzt, ein Vorbild vorgesetzt. In diesem Spannungsfeld von Obdachlosigkeit zu Gier, technischer Machbarkeit und ethischem Umgang mit neu entwickelten Technologien aber auch Wissenschaft auf der einen und Religion oder Mystik auf der anderen Seite spannt der Roman einen Bogen zwischen ganz verschiedenen Welten. Und wie es sich in einem Märchen so gehört, geht das Ganze am Ende vielleicht sogar gut aus. Wichtiger ist aber die lobenswert hochwertige Recherchearbeit, die Suter in diesen Roman gesteckt hat und die ihn von Wissenschaftlern und der Gentechnologie bis in das Milieu der Züricher Obdachlosen geführt hat.
CRISPR/Cas9 – was die Gentechnik möglich macht
Suter hat sich in Vorbereitung für den Roman Elefant natürlich mit dem – hochkomplexen – Thema Gentechnik und dessen kryptografisch als CRISPR/Cas9 bezeichneten Technik. Der rosa Mini-Elefant wäre auf dem Papier heute wohl ohne größere Probleme zu produzieren, auch leuchtende Elemente werden schon des Längeren in der medizinischen Forschung in das Erbgut von Labormäusen eingeführt, um gewisse Effekte optisch nachvollziehen zu können. Ob das nun gleich heißt, man kann ein von sich aus leuchtendes Tier mit Genbausätzen konstruieren, sei mal dahingestellt – das ist eine Frage für die Gentechnik. Wenn man die geerdete Basis einbezieht, auf der Suter seine phantastische Märchenreise aufbaut, dann führt diese vor Auge, was – vielleicht – mit der Gentechnik in nächster Zeit auf uns zukommt, alle ethischen Gesetze in der EU hin oder her, denn irgendwer irgendwo macht es dann eben doch. Trotzdem ist der Roman, auch unter Hinzunahme von Fritz Stocher, nicht wirklich gesellschaftskritisch, sondern zeigt eher die verschiedenen Motivationen auf, mit diesem Wunderwerk des rosa Elefanten umzugehen.
Schwarz und Weiß, Gut und Böse – die klassisch märchenhafte Konstruktion von Elefant
Die klare, ja für viele wahrscheinlich zu klare Gegenüberstellung von Gut und Böse in diesem modernen Märchen ist natürlich viel kritisiert worden. Viele kritische Stimmen schwimmen aber dann mit dem Hinweis auf das „Märchen“ und der ihm eigenen Schwarz-Weiß-Zeichnung gleich wieder ein Stück zurück. Hier ein wirkliches Urteil zu sprechen stellt sich schwierig dar, ist doch ein großer Teil Geschmackssache und damit absolut subjektiv. Aber natürlich fehlt manchen Personen, insbesondere der Wissenschaftlerin Valerie oder dem eben einfach gierigen und bösen Dr. Roux so eine gewisse Dimension und Tiefe, die man sonst von den nicht selten gebrochenen und in Grautönen gehaltenen Charakteren in der zeitgenössischen Literatur gewohnt ist. Die Reise ins sutersche Wunderland und die Begegnung mit Stocher, dem Mini-Elefanten Barishan und den anderen Personen des Romans lohnt sich trotz allem, auch wenn dies vielleicht nicht für jeden ein richtiger Suter ist, obwohl der Stil und die mehr oder weniger stille Ironie, die den Autor schon immer auszeichnet, natürlich auch hier durch die Zeilen und Seiten scheint.