Empörung

Der drittletzte, 2008 erschienene Roman von Philip Roth nimmt die Leser und Leserinnen mit auf eine Reise zurück in die 50er Jahre und in die eigentlich heile Welt der Kleinstadt Newark, Roths Heimatstadt und Schauplatz vieler seiner Erzählungen und Romane. Hier wächst Marcus Messner als Sohn eines koscheren Metzgers auf, hilft im Betrieb des Vaters aus, beendet die Schule und besucht schließlich das örtliche College. Währenddessen tobt weit entfernt der Koreakrieg, der wie ein drohender Schatten über dem ganzen ersten Teil des Romans schwebt. Gemeinsam mit den Fallstricken der inquisitorischen McCarthy Ära bildet dieser so etwas, wie den historischen Hintergrund der Novelle. Dabei lässt sich die Situation, in der sich der junge Messner wiederfindet durchaus auf die US-amerikanische Gegenwart von 2007/08 übertragen mit den Eingriffen der Homeland Security, der Amtszeit von Bush, dem Kampf gegen Terror, der ultrakonservativen, religiösen Rechten. So gelingt Philip Roth mit dem Blick zurück eine Erzählsituation, in der nicht nur die Enge der – von Angst, Denunziation und moralinsaurer Sexualmoral durchdrungenen – 50er Jahre vor den Augen der Leserschaft aufersteht, sondern in der auch immer wieder die Rückbindung an das Heute und die grundlegende Gefährdung, wieder zu einer so engen Welt zu werden, gelingt.

Inhalt und Ablauf von Roths „Empörung“

Die Erzählung beginnt mit Marcus Messners Eintritt in das College und der seltsamen, neurotisch-paranoiden Verhaltensänderung des Vaters. Der sonst immer geradlinige, starke Mann droht plötzlich vor Sorge um seinen einzigen Sohn diesen zu ersticken. Überall sieht der Mann Gefahren und Fallstricke, natürlich nicht ganz zu Unrecht, wenn auch naturgemäß vergebens in der Sorge und dem eigenen Sohn sich entfremdend, der vor dem Vater und dessen „Bemutterung“ geradezu an das College von Winesburg in Ohio flieht. In diesem von Religion und biederer Anständigkeit geprägten Kleinstadtcollege erlebt Messner seine sexuelle Initiation, die ihm gleichzeitig einen Schock versetzt. Der Blow Job im Auto seines Zimmergenossen durch die bezaubernde, aber mit eigenen psychischen Problemen kämpfende Olivia Hutton ist ein einschneidendes Erlebnis. Am Ende verrät Marcus Olivia aber aufgrund der eigenen Verunsicherung in gewisser Weise, obwohl er sie, in der etwas übertriebenen Art der knapp Zwanzigjährigen, tatsächlich zu lieben scheint.

College-Leben und Doppelmoral

Überhaupt ist die Beschreibung des College Lebens in diesem Campus tatsächlich ein eindrückliches Beispiel der Bigotterie. Diese geht ja nicht selten mit vorgegebenen, moralisch hohen Standards einher, von denen sich der junge Messner, wenn auch auf gutem Weg, dennoch nicht gänzlich lösen kann. So kaufen sich einige Studenten vom Besuch der Messe frei, indem sie stattdessen einen anderen Studenten bezahlen, für sie diese zu besuchen. Es wird viel getrunken (Marcus arbeitet in einer der lokalen Bars, um seinen Eltern mit den Kosten des College zu helfen), gefummelt und anschließend exzessiv masturbiert, denn die sexuelle Spannung kann in diesem Klima keinen anderen Weg zur Lösung finden. Diese beinahe schizophrene Situation findet ihren Höhepunkt in einer ausartenden Schneeballschlacht, in der viele der männlichen Studenten beginnen, die Häuser der Studentinnen zu stürmen, Schlüpfer auf den Schnee durch die Fenster zu werfen und – natürlich – einen Riesenskandal auszulösen.

Das Gespräch beim Dekan – Philip Roths Plädoyer für eine freie Gesellschaft

Die Szene, bei der sich die Leserschaft endgültig und spätestens auf die Seite von Marcus und Olivia stellt und sich die Empörung über die herrschenden Verhältnisse am deutlichsten ausbilden dürfte, auf welche der Titel des Buches abzielt, ist der Termin beim Dekan der männlichen Studenten. Das ist weniger ein freundliches Gespräch denn ein von Misstrauen und Konformitätsdruck durchzogenes Verhör. Marcus’ größter Makel dabei: Er lügt nicht, sondern steht zu seinen Einstellungen und seinen Ansichten, insbesondere zu seinem Atheismus, für den er gar einen berühmten Aufsatz des britischen Philosophen Bertand Russel zitiert. Was einen Hochschullehrer an sich stolz machen sollte, hat hier genau die gegenteilige Wirkung – Marcus macht sich in den Augen des Dekans höchst suspekt. Natürlich endet dieser Roman tragisch mit dem Verweis vom College und dem Einzug des jungen Messner als Soldat in den Koreakrieg, wo das Buch in seinem knappen zweiten Teil endet.

Das Porträt eines jungen Mannes durch den alternden Philip Roth

Auch in Empörung pflegt Roth seinen klaren, einfachen Stil, der allerdings – und hier liegt die Meisterschaft des Autors – ganz bei dem aus seiner Perspektive erzählenden, knapp 20-jährigen Marcus Messner bleibt. Das Porträt des jungen Messner und seine eigene, jugendliche Stimme, die der zu diesem Zeitpunkt schon über 70-jährige Roth erschafft, ist bemerkenswert. Auch die Beschreibung des gesellschaftlichen Klimas der 50er Jahre, in denen Roth selbst aufs College gegangen ist, gelingt eindrucksvoll. Manches, wie die geradezu pathologische Angst des Vaters, die Sorge der Mutter und die übertrieben getrieben wirkende Olivia wirken hingegen ein wenig konstruiert, auch weil sie – jede auf ihre Weise – ganz eindeutig dem Lauf der Erzählung zu offensichtlich dienen.

Fazit zu Philip Roths Empörung

Empörung ist ein wunderbares kleines Buch von knapp 200 Seiten, das spannende Einblicke in die 50er Jahre in den USA und interessante Anknüpfungspunkte an die Gegenwart bietet, die der Lektüre auch eine gewisse, nachhallende Tiefe geben. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, der manchmal direkt an die Unbeholfenheit des jungen Protagonisten gebunden ist, dann wiederum in Szenen, wie der Schlüpferschlacht, durch die Beschreibung eines derart konfusen und satirisch-absurden Ereignisses entsteht. Empörung ist auch durch seine Länge ein guter Einstieg in die Welt von Philip Roth und ein grundsolides Buch mit einigen herausragenden Qualitäten, die – im stilistischen – gerade zum Tragen kommen, wenn man dieses im Original liest, was aufgrund der einfachen Sprache, die von Roth meist benutzt wird, eigentlich unproblematisch ein sollte.

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