Fotos by: Mandus Pe
Hans-Uwe Scharnweber – Der schreibende Ex-Doppelagent
Hans-Uwe Scharnweber war ein knappes Jahrzehnt lang als Doppelagent tätig. Wir haben mit dem Marmstorfer Pensionär und leidenschaftlichen Autoren über seine jahrelange Agenten-Tätigkeit, über durchaus riskante Spionageaktionen sowie über den Reiz des Schreibens und über lebensverändernde Literatur gesprochen.
Hans-Uwe Scharnweber, 79, pensionierter Studienrat & Rechtsanwalt:
Was liest du aktuell?
Helena von Elena Waugh, das Buch handelt von der Kaiserin von Byzanz, deren Sohn Konstantin der Große war, der das Christentum zur Staatsreligion erklärt hat: “In hoc signo vinces!” Ich habe mir dieses Buch herausgesucht, weil ich mal eine Israelreise gemacht habe und mich sehr für das Land und dessen Geschichte interessiere.
„Sage nicht immer alles, was du weißt, aber wisse immer, was du sagst.“ Matthias Claudius
Erinnerst du dich noch an das allererste Buch, das dich nachhaltig beeindruckt hat?
Oh ja, das waren Bücher von Stefan Zweig. Was mein Leben außerdem sehr beeinflusst hat, war der Brief von Matthias Claudius an seinen Sohn Johannes, der als 16-Jähriger in Hamburg in die Lehre ging. Der Vater hat seinem Sohn wegweisende Ratschläge fürs Leben mitgegeben. Zum Beispiel: „Sage nicht immer alles, was du weißt, aber wisse immer, was du sagst.“ Oder: „Tue keinem Mädchen Leides und denke daran, dass deine Mutter auch ein Mädchen gewesen ist.“ Ein anderer Spruch, der mich sehr geprägt hat, war: „Tue, was des Lohnes wert ist, und begehre keinen.“ Danach habe ich mein Leben ausgerichtet. Und unter diesem Motto habe ich auch meine “Doppelagenten”-Tätigkeit betrieben. Ich wollte der Bundesrepublik Deutschland dienen und möglichen Schaden von ihr abwenden.
Wenn ich etwas für engagierungswürdig halte, engagiere ich mich voll und ganz – ohne Rücksicht auf die eigene Person. So bin ich in meine “Doppelagenten”-Tätigkeit gerutscht.
Auf Spiegel.de findet sich ein ausführlicher Artikel über dein abenteuerliches Agentenleben: Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger wurdest du vom ostdeutschen Geheimdienst als Agent angeworben. Und kurz darauf dann vom westdeutschen Verfassungsschutz übernommen. Wie genau kam es zu dieser Doppelagenten-Tätigkeit?
Wenn ich etwas für engagierungswürdig halte, engagiere ich mich voll und ganz – ohne Rücksicht auf die eigene Person. So bin ich in meine “Doppelagenten”-Tätigkeit gerutscht. Übrigens begeht ein richtiger Doppelagent auf beiden Seiten Verrat, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite. Deshalb setze ich das Wort „Doppel“ auf mich bezogen immer in Anführungszeichen. Ich war vom Geheimdienst der DDR angeheuert worden, bei ihnen Agent zu werden und „mit der DDR vertrauensvoll zusammenzuarbeiten“. Sprich, um in der Bundesrepublik Deutschland für sie zu spionieren. Es war ganz genau festgelegt worden, was ich machen sollte. Zuvor hatte es den spektakulären Guillaume-Spionagefall gegeben: Günter Guillaume, einer der engsten Mitarbeiter des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, war als DDR-Agent enttarnt worden. Woraufhin Willy Brandt abtreten musste. Sein Nachfolger war Helmut Schmidt. Ein Hamburger, SPD-Mitglied, dessen Wahlkreis Bergedorf gewesen war. Ich war ebenfalls SPD-Mitglied und wohnte in Bergedorf. Der ostdeutsche Geheimdienst hatte den Plan, dass ich ein juristisches Zweitstudium mache und anschließend in der Bundestagswahl den Wahlkampf von Helmut Schmidt manage, um auf diese Weise in das Bundeskanzleramt hineinzukommen. Ich sollte sozusagen der zweite Guillaume werden. Das war ihr Fernziel.
Ich sollte eine Sekretärin flachlegen, um an weitere Informationen zu gelangen.
Das klingt nach einer ebenso raffinierten wie generalstabsmäßigen Planung …
Ja, selbst mein damaliger Junggesellenstatus war in der Planung mitbedacht worden. Markus Wolf, Leiter der ausländischen DDR-Spionage, hatte das sogenannte Romeo-Prinzip ersonnen: Zielpersonen waren die Sekretärinnen der Minister – hochqualifizierte Frauen, die keine normalen Arbeitszeiten und deshalb kein oder kaum ein Privat- und Sexualleben hatten und männerbedürftig waren. Eine Masche der Agenten war es, einen großen Blumenstrauß zu kaufen, die Privatadresse der jeweiligen Dame aufzusuchen, dort an der Tür zu klingeln und so zu tun, als habe man sich in der Anschrift geirrt, um schließlich nach einem charmanten Geplänkel der „versehentlich“ aufgesuchten Dame den Blumenstrauß zu überreichen. Ziel war es, die männerlosen Frauen emotional einzufangen. Ich sollte eine Sekretärin flachlegen und zu ihr eine nähere Beziehung aufbauen, um weitere Informationen abzuschöpfen. Aber hätte ich nicht mitgemacht, denn ich sehe meine Aufgabe nicht darin, eine Frau ins Unglück zu verführen, indem ich sie zu strafbarem Handeln verleite.
Aus welcher Motivation heraus hattest du diese zwielichtige Agententätigkeit überhaupt angenommen?
Ich war Politiklehrer und bin immer ein sehr politischer Mensch gewesen. Ich habe meinen Schülern immer gesagt, dass sie sich für ihre Demokratie engagieren müssen. Ich hätte es mir nicht verziehen, selbst zu kneifen. ich fühlte mich – im Rahmen meiner zugegebenermaßen zunächst nur sehr bescheidenen Möglichkeiten – verpflichtet, zu verhindern, dass der Bundesrepublik Schaden zugefügt wird.
Erinnerst du dich noch an besonders brenzlige Situationen aus dieser Zeit?
Eines Nachts schlief ich gemeinsam mit DDR-Agenten in einem Hotel: einer mit in meinem Zimmer, die anderen beiden in einem zweiten. Mitten in der Nacht habe ich mich dann ganz leise, damit ich den Agenten in meinem Zimmer nicht wecke, ins Nebenzimmer der anderen schlafenden Agenten geschlichen. Im Zeitlupentempo habe ich die Türklinke zu deren Zimmer heruntergedrückt und dort einen ihrer Aktenkoffer an mich genommen, um ihn auf der Toilette zu öffnen, um zu sehen, ob sich darin Notizbücher befanden. Ich wollte wissen, was sie über mich geschrieben hatten und ob dort mein Klarname und eventuell noch weitere Klarnamen von richtigen, in der BRD noch nicht entdeckten Agenten, vermerkt waren. Nachdem ich ein paar Sachen in Erfahrung gebracht hatte, habe ich den Koffer ganz leise wieder abgestellt und mich zurück in mein Zimmer geschlichen. Als der deutsche Verfassungsschutz später von meiner Aktion erfuhr, konnten sie kaum glauben, was ich getan hatte. Ich hatte ja eigentlich nur die Aufgabe, Informationen an mich herankommen zu lassen und nicht selber Informationen zu beschaffen und damit zu riskieren, dass ich in meiner Doppelagenten-Tätigkeit auffliege. Ich habe meine Aufgabe wohl ein wenig überinterpretiert (lacht).
Irgendwann hatte der Geheimdienst der DDR den Hinweis bekommen, dass ich „ein falscher Fünfziger“ sein könnte.
Das klingt ziemlich furchtlos, um nicht zu sagen übermütig. Hattest du nie Angst, dass dir bei deinen Einsätzen etwas zustoßen könnte?
Doch, ich habe immer mal wieder Angsträume gehabt, bevor ich in den Osten gefahren bin. Aber wenn ich dann in den Gesprächen gemerkt habe, dass die Stimmung in Ordnung war, ist die Anspannung langsam von mir abgefallen. Irgendwann jedoch hatte der ostdeutsche Geheimdienst den Hinweis bekommen, dass ich „ein falscher Fünfziger“ sein könnte. Zum Glück haben sie mich nicht hops genommen, weil ansonsten weitere, wesentlich bedeutsamere Informanten gefährdet worden wären. So bin ich ohne Gefangenschaft davongekommen.
Unter solchen Umständen kann man leicht paranoid werden … Hast du dich denn in dieser Zeit jemandem anvertraut?
Ja, zu Horst, einem Freund, den ich noch aus meiner Militärzeit kannte, habe ich gesagt: „Wenn ich mal länger nicht erreichbar bin, dann steckt da was dahinter.“ Und dann habe ich ihm alles erzählt. Danach hat mich angeguckt und zu mir gesagt: „Wenn du dich mal verstecken musst, damit die dich nicht finden, dann verstecke ich dich so lange, wie meine Familie das mitmacht.“ Das ist wahre Freundschaft.
Wie blickst du heute auf deine Agententätigkeit zurück?
Wenn ich gewusst hätte, dass die DDR zusammenbricht, dann hätte ich es nicht gemacht. Außerdem habe ich beruflichen Schaden davongetragen. Nachdem ich siebeneinhalb Jahre als Agent tätig gewesen war und wieder als Lehrer arbeiten wollte, wurde mir dies – entgegen aller vorheriger Versprechungen – verwehrt. Ich musste jahrelang gegen den Staat klagen, um letztlich wieder als beamteter Lehrer eingestellt zu werden, da ich für den Hamburger Staat und die Bundesrepublik Deutschland meinen schon erreichten Status als Beamter auf Lebenszeit aufgeopfert hatte. Aber dank meines Zweitstudiums hatte ich ja zum Glück gelernt, mich juristisch zu wehren.
Ich kann nicht einfach nur die Wände anstarren, dazu habe ich einen viel zu beweglichen Geist.
2006 bist du in Rente gegangen. Wie verbringst du deine Tage?
Ich würde mich als einen bücherschreibenden Rechtsanwalt bezeichnen. Seit meiner Pensionierung beschäftige ich mich vor allem mit juristischen Themen. Ich kann ja nicht einfach nur die Wände anstarren, dazu habe ich einen viel zu beweglichen Geist.
Du hast bereits mehrere Bücher geschrieben. Wovon handeln die?
Ich habe eine Autobiografie über mein Agentendasein geschrieben. Ein anderes Buch handelt von Armin Meiwes, dem Kannibalen aus Rotenburg und ein weiteres über Prostatakrebs, in dem ich meine eigenen Erfahrungen mit eingebracht habe. Aktuell schreibe ich an einem Buch über den Islam. „Was macht Ideologie aus dem Menschen?“, das interessiert mich. Ich halte diese Ideologie für so gefährlich, dass ich mich im Bundestagswahlkampf 2017 unter dem Motto ‘Grundgesetz contra Islam’ als parteiunabhängiger Wahlkreiskandidat in meinem Wahlkreis engagiert habe – und mit nur 349 Stimmen grandios gescheitert bin. Aber ich habe wenigstens Flagge gezeigt. Ich habe mir die Themen nie gesucht: Die Themen haben mich gefunden. Ich bin gespannt, welches Thema mich als nächstes anspringt.
Worin liegt für dich der Reiz des Schreibens?
In der geistigen Beschäftigung und der Durchdringung von Themen.
Wie viele Stunden am Tag schreibst du in etwa?
Zwischen sechs und 18 Stunden, allerdings inklusive lesen. Schließlich muss ich ja auch an die Informationen gelangen.
Gibt es eines oder mehrere Bücher, die du unseren Leser*innen abschließend gerne ans Herz legen möchtest?
Allen, die sich ein wenig für historische Begebenheiten interessieren, kann ich Sternstunden der Menschheit von Stefan Zweig sehr empfehlen. Außerdem jede seiner Biografien, die er verfasst hat. Etwa über Maria Stuart oder Joseph Fouché. Jede ist ausgezeichnet.
Interview: Lesley Sevriens
Fotos: Mandus Pe