Homo Faber

Der 1957 publizierte Roman Homo Faber ist vielleicht der bekannteste aus der Feder des Schweizer Schriftstellers Max Frisch. Nicht nur wurde dieser nach seinem Erscheinen zu einem echten Bestseller, sondern erlebte auch recht früh eine Übersetzung in viele Sprachen. Damit muss Homo Faber zur Weltliteratur gerechnet werden, was sich auch darin niederschlägt, dass dieser spätestens seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts einen festen Platz im kanonischen Programm des Deutschunterrichts innehat. Generationen von Schülern und Schülerinnen wurden seitdem mit Homo Faber „gequält“, um es mal polemisch auszudrücken. Leider gilt bis heute, dass Literatur in der Schule häufig gleich vorweg als „langweilig“ oder „spießig“ aufgefasst wird. Klar, Ausnahmen gibt es immer, aber das generelle Problem bleibt und verleidet so nicht selten manchen gute Literaturschaffende, die man – hätte man sie selbst für sich entdeckt – vielleicht sogar ins Herz geschlossen hätte. Dem Problem als solchem ist dabei selbstverständlich nicht beizukommen.

Homo Faber trat spätestens 1991 mit neuer Wucht in das Bewusstsein der Gesellschaft, als Volker Schlöndorff eine filmische Adaption des Stoffes in die Kinos brachte. Seitdem ist es – abgesehen vom Deutschunterricht – eher wieder still geworden um Max Frisch, den Homo Faber und das restliche Werk des Autors, auch wenn dieser inzwischen ganz klar (und zurecht, wie ich anmerken möchte) zu den Klassikern neuer Deutscher Literatur gezählt werden muss.

Homo Faber – Der schaffende Mensch

Der lateinische Begriff Homo Faber wird als „der schaffende Mensch“ übersetzt (wörtlich eher: der Mensch als Handwerker) und stammt als Begrifflichkeit aus der philosophischen Anthropologie (Lehre vom Menschen), wo er den modernen Menschen beschreibt und diesen von älteren Menschheitsepochen abgrenzt. Der Homo Faber greift aktiv verändernd in seine Umwelt ein. Heute ist diese Begrifflichkeit weniger gebräuchlich, zeichnet sich der Mensch doch seither dadurch aus, dass er aktiv verändernd in seine Umwelt eingreift. Die Verbindung des Homo (Menschen) mit verschiedenen Attributen (oeconimicus – wirtschaftlich, ludens – spielerisch) ist aber nach wie vor in der Soziologie und Anthropologie recht verbreitet.

Der Protagonist Walter Faber – Max Frischs Bild des Rationalen Menschen

Im Roman ist der Protagonist, Walter Faber, ein umtriebiger Ingenieur, der zu Beginn des Buches von New York nach Venezuela fliegt, um dort für die UNESCO ein Projekt zu beaufsichtigen, der klassische, moderne, tätige Mensch: rational und logisch. Auf diese beiden Eigenschaften verlässt er sich denn auch blind in seiner Wahrnehmung der Welt, bis es zu einer selbst geschaffenen Katharsis kommt, die Faber gebrochen zurücklässt. Die Figur, die wohl auch autobiografische Züge trägt, steht damit für eine entzauberte, dem Mythos und der Natur sozusagen beraubte Welt, die sich in Zahlen und feste Kategorien einordnen lässt. So sind – neben der für Frisch so typischen Frage nach Identität – die Themen und Problematisierungen, welche der Roman vornimmt, schon klar in der Figur angelegt. Die Gegenüberstellung einer technischen Weltsicht auf der einen und dem Mythos als sich der Logik verschließenden Erfahrung von Welt andererseits wird im Protagonisten als Panorama ausgebreitet. Zu einer endgültigen Kollision beider Weltbilder, wenn man so mag, kommt es durch den sich anbahnenden Inzest, der wiederum ein klassisches Motiv der griechischen Mythologie ist.

Aufbau und Inhalt von Homo Faber

Die Handlung des Romans ist in zwei Abschnitte unterteilt und wird – mit Einschüben im Stil eines Tagebuchs, insbesondere im zweiten Abschnitt – als eine Art Monolog des Protagonisten vorgetragen, aus dessen Sicht sich die Ereignisse nach und nach vor der Leserschaft ausbreiten. Der Untertitel „Ein Bericht“ ist dabei sehr sorgfältig gewählt, ist dieser doch eine Form des Textes, die in der Naturwissenschaft (im weitesten Sinne) geläufig ist und postuliert zudem eine – wenn auch nur angestrebte – Objektivität.

Der Roman beginnt mit der Reise nach Kolumbien, führt über eine Notlandung in Mexiko und die Maya-Stadt Palenque zu einer üblen Magenverstimmung in Caracas. Nachdem man den Protagonisten so kennen lernt, ist vor allem die Rückfahrt Walter Fabers mit einem Ozean-Dampfer von New York nach Le Havre der erste einschneidende Punkt der Story: An Bord des Schiffes lernt Faber die junge Elisabeth kennen, die er liebevoll Sabeth nennt und der er kurz vor Ankunft in Le Havre sogar einen Heiratsantrag macht, den diese ablehnt. Trotzdem reisen die beiden eine Zeit lang gemeinsam weiter und schlafen schließlich auch miteinander. Fast am Ziel der Reise, Athen, angekommen, kommt es zu einem tragischen Unfall und Sabeth stirbt. Niedergeschlagen kommt Faber zu seiner in Athen lebenden Jugendliebe Hanna, die ihm eröffnet, dass Sabeth ihrer beiden Tochter war.

Homo Fabers Bruch mit der Rationalität

Erst plant Faber, bei Hanna zu bleiben, hieraus wird aber natürlich nichts. Also reist er wieder zu seinem Job, wird aber immer mehr von den erlebten Geschehnissen besessen. Nach einem erneuten kurzen Aufenthalt in Mexiko kommt er nach Havanna, wo er mit seinem bisherigen Leben zu brechen scheint. Kurze Zeit später wird er mit Magenkrebs diagnostiziert und der Roman endet mit Faber, der in Zürich auf die Operation wartet. Das Ende bleibt zwar offen, doch scheint der Tod des Protagonisten nahe zu liegen, wenn man die Schwere der Erkrankung und den Stand der Medizin in den 50er Jahren in Betracht zieht.

Interpretation des Klassikers von Max Frisch

Bei dem „Klassiker“ Homo Faber handelt es sich um eines der literaturwissenschaftlich am intensivsten beackerten Büchern des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Von Monographien über Doktorarbeiten bis hin zu Bearbeitungen für Schulen, welche die verschiedenen Interpretationszugänge vorstellen, und natürlich den zehntausenden Aufsätzen von Schülern und Schülerinnen kann man sicher eine ganze Bibliothek füllen. Dabei steht bei allen Interpretationsansätzen der Gegensatz zwischen dem „rationalen“, schaffenden Menschen, dem Homo Faber, und den Unwägbarkeiten des Lebens in Form der Natur, der Liebe und des Unterbewussten im Fokus, die darüber hinaus mit dem Mythos als lebensvoller und welthaltiger Erzählung verbunden werden. Aber auch das braucht man nicht unbedingt zu wissen. Am Besten liest man das Buch einfach selber und macht sich selbst einen Eindruck. Es ist offen und gleichzeitig klar genug, dass die Überbearbeitung durch die Literaturwissenschaft fast schon übertrieben wirkt, auch wenn es für diese in Hinsicht auf die kanonische Bedeutung dieses Werkes natürlich Gründe gibt.

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