Lisa Jaspers – Schöne neue Arbeitswelt

Im vergangenen Jahr hat die Berliner Unternehmerin und Modeaktivistin Lisa Jaspers das Business-Buch „Starting a Revolution. What we can learn from female entrepreneurs“ im Selbstverlag veröffentlicht. Wir haben mit der geborenen Netzwerkerin über sinnerfülltes Arbeiten, über Selbstreflexion sowie über Unternehmerinnen, die ausgetrampelte „Business as usual-Pfade“ ganz bewusst verlassen haben, gesprochen. Und natürlich darüber, wie eine schönere neue Arbeitswelt aussehen könnte.

 

Lisa Jaspers hat sich schon früh mit Themen wie Entwicklungszusammenarbeit und Armutsbekämpfung befasst und 2013 das erfolgreiche Social Fashion Label „Folkdays“ ins Leben gerufen. 2018 dann hat sie mit „Fair by Law“ eine Petition gestartet, die ein Gesetz für eine unternehmerische Sorgfaltspflicht fordert. Die Petition wurde bisher von über 170.000 Menschen unterschrieben und Ende November 2019 dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales übergeben. Gemeinsam mit Naomi Ryland, Co-Gründerin von tbd*, einer Karriere-Plattform für sinnstiftende Jobs, hat sie vergangenes Jahr Starting a Revolution. What we can learn from female entrepreneurs  im Selbstverlag herausgegeben. Nun ist es bei Econ (Ullstein Verlag) auf Deutsch erschienen.

 

Mit welcher Motivation habt ihr das Buch verfasst?

Naomi und ich haben ungefähr zeitgleich gegründet und in Gesprächen festgestellt, dass wir sehr ähnliche Probleme hatten. Wir haben gemerkt, dass sich viele der Tipps, die wir von erfahrenen Unternehmer*innen bekommen haben, für uns nicht richtig anfühlen. Aus dieser Situation heraus ist die Idee zum Buch entstanden. Wir haben angefangen zu recherchieren und Frauen gefunden, die tolle Unternehmen aufgebaut und viele der „Business as usual-Weisheiten“ abgelehnt und stattdessen ihr eigenes Ding gemacht haben. Das hat uns so sehr inspiriert, dass relativ schnell klar war, dass wir dazu etwas schreiben wollen und dass wir es so aufbereiten möchten, dass andere Menschen einen Nutzen davon haben.

 

Nach welchen Kriterien habt ihr die Unternehmerinnen, die in eurem Buch vorgestellt werden, ausgesucht?

Uns war wichtig, mit Frauen zu sprechen, die nicht den klassischen Weg gegangen sind und deren Unternehmensphilosophien nicht auf klaren Hierarchien, Druck und Wettbewerb fußen, sondern Frauen zu identifizieren, die einen komplett anderen Ansatz verfolgen. Frauen, die das Thema ‚Erfolg’ einfach ganz anders definieren, als es üblich ist.

 

Was können wir von diesen progressiven Gründerinnen über die Zukunft der Arbeitswelt lernen?

Sich zu fragen: „Was für ein Mensch bin ich eigentlich? Was sind meine Stärken und Schwächen und wie bin ich als Führungskraft? Wie will ich sein und was für eine Art von Unternehmen möchte ich haben? Möchte ich eher anleiten oder auf einer Augenhöhe mit den Mitarbeitern sein? Wenn ich Druck verspüre, gebe ich den dann weiter? Und wenn ja, will ich das? Gibt es vielleicht andere Wege, mit dem Druck umzugehen?“ Es geht darum, sein alltägliches Handeln immer wieder zu hinterfragen. Auch professionelle Distanz ist ein wichtiges Thema: „Muss ich eine Distanz zu meinen Mitarbeiter*innen aufbauen, um eine gute Führungskraft zu sein? Oder wäre es nicht viel schöner, wenn Menschen bei der Arbeit das Gefühl haben, sie werden als ganzer Mensch gesehen und nicht nur als Mittel zum Zweck? Und was bedeutet das dann für die Art, wie ich sie führe?“

 

Eine gute Führungskraft zeichnet vor allem aus, dass sie sich gut selbst führt. Du musst dich selbst gut kennen und sehr selbstreflektiert sein.

 

In eurem Buch gebt ihr auch handfeste Tipps.

Ja, im Buch stellen wir viele nützliche Tools und Methoden vor. Beispielsweise: „Wie kann ich gute Feedback-Gespräche führen und was sind gute Grundlagen für unhierarchisches Arbeiten?

 

Was zeichnet eine gute Führungskraft aus?

Eine gute Führungskraft zeichnet vor allem aus, dass sie sich gut selbst führt. Das bedeutet, erst mal zu verstehen, was die eigenen Stärken und Schwächen sind und wie man damit umgeht. Als gute Führungskraft musst du dich selbst gut kennen und sehr selbstreflektiert sein. Nur so kannst du eine Atmosphäre von Offenheit und Ehrlichkeit im Unternehmen kreieren.

 

Wir wollen gar nicht mehr über die gläserne Decke diskutieren und in diesem System aufsteigen, sondern wir wollen es abschaffen.

 

Warum neigen noch immer vor allem Frauen dazu, sich unter Wert zu verkaufen und eher zu tief- als zu hoch zu stapeln?

Man muss natürlich immer aufpassen, nicht in Geschlechterstereotype zu verfallen aber es gibt ganz interessante psychologische Studien, die besagen, dass Frauen dazu tendieren, die Leistungen von anderen höher einzustufen, während Männer dazu neigen, die eigenen Leistungen höher zu einzuschätzen, als die anderer. Ich glaube, die Gründe dafür sind sehr vielseitig. Die aktuellen Arbeitsstrukturen tragen auf jeden Fall dazu bei, dass die Menschen, die sich besonders selbstbewusst und pushy und durchsetzungsfähig geben, im System aufsteigen. Wir sprechen in unserem Buch gerne von Alphaverhalten. Denn in unserem bestehenden System sind es genau diese Alphamenschen, die in hohen Positionen sitzen. Das ist auch der Grund, weshalb wir gar nicht mehr über die gläserne Decke diskutieren und in diesem System aufsteigen wollen, sondern wir wollen das jetzige System abschaffen.

 

Wie könnte eine „schönere neue Arbeitswelt“ aussehen?

Unsere besten Leistungen verbringen wir nicht in Situationen, in denen wir total unter Stress und unter Konkurrenzdruck stehen, sondern eher in Situationen, in denen wir uns wohl fühlen und das Gefühl haben, wir selbst sein zu dürfen. Dort, wo wir Sicherheit und Stabilität im Team und eine offene Vertrauenskultur erfahren. Ich glaube, heutigen Führungskräften wird nicht beigebracht, wie sie eine solche Atmosphäre kreieren. Deshalb sind wir felsenfest davon überzeugt, dass Unternehmen langfristig erfolgreicher sind, wenn sie den XX Weg gehen. Weil dann auch die Leistungen besser und die Innovation größer werden. Dieser Weg hat also nicht nur einen psychologischen, sondern auch einen wirtschaftlichen Nutzen.

 

Du selbst beschäftigst inzwischen sieben Mitarbeiterinnen. Was hast du im Zuge deiner Buch-Recherche über dich und deinen eigenen Führungsstil gelernt?

Ich habe auch schon vor der Recherche zu dem Buch angefangen, mir verstärkt Feedback einzuholen und als Mensch und Führungskraft stark an mir zu arbeiten. Seit ich das Buch geschrieben habe, sind noch andere Themen hochgekommen. Beispielsweise habe ich  immer gedacht, dass ich als Chefin stark sein muss und meine Sorgen oder Unsicherheiten nicht zeigen darf, weil sich alle anderen sonst auch Sorgen machen. In den vergangenen Monaten habe ich gemerkt, dass das totaler Bullshirt  ist und dass es total in Ordnung ist, mich in gewissen Situationen von meinen Mitarbeiterinnen halten und trösten zu lassen. Es hat mich sehr glücklich gemacht, diese Rolle verlassen zu dürfen. Aktuell beschäftigt mich das Thema ‚Selfcare’ sehr – also auf mich selbst aufzupassen und zu gucken, wann mein Stresslevel steigt und warum es steigt und wie ich dagegen agieren kann.

 

Glaubst du, dass die aktuelle Corona-Pandemie zu einer positiven Veränderung unserer Arbeitswelt beitragen könnte?

Viele Chefs haben in der Krise gemerkt, dass Homeoffice ja doch funktioniert. Vielleicht sollten sie ein paar mehr Gedanken darauf verschwenden, ob das nicht auch langfristig eine gute Option wäre. Ich glaube, dass viele Menschen aktuell merken, wie krass schön es ist, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem man sich wohlfühlt – und das ist für viele eben neuerdings auch das Zuhause. Die Krise hat bei vielen Menschen noch mal einen Denkprozess losgetreten und Fragen aufgeworfen wie: „Wie viel Zeit verbringe ich eigentlich bei der Arbeit? Sollte ich vielleicht nicht doch noch mal in eine andere Richtung denken und mir eine erfüllendere Tätigkeit suchen?“ Ich hoffe wirklich sehr, dass dies alles nachwirkt und es nicht schnell wieder „back to normal“ geht.

 

Den Anspruch zu haben, durch die eigene Arbeit erfüllt zu sein, sollte viel verbreiteter sein, als es aktuell ist.

 

Wie möchtest du in Zukunft arbeiten?

Ich glaube, wir selbst bei der Arbeit sein zu dürfen und Spaß zu haben an dem, was wir machen, wäre ein gutes Ziel. Den Anspruch zu haben, durch die eigene Arbeit erfüllt zu sein, sollte viel verbreiteter sein, als es aktuell ist. Dieses Ziel habe ich in meinem Arbeitsleben zum Glück schon erreicht. Aber natürlich überprüfe ich immer wieder, dass sich nichts verschiebt. Daran arbeite ich jeden Tag.

 

Welche Bücher, Podcasts oder Initiativen rund um das Thema ‚Leadership’ kannst du empfehlen?

Rund um das Thema ‚Leadership’ kann ich die Hamburgerin Vera Strauch sehr empfehlen. Vera beschäftigt sich verstärkt mit Female Leadership-Themen. In den USA gibt es eine coole Truppe namens Sister – die stellen wir auch in unserem Buch vor. Statt länger in einem System zu agieren, dass sehr patriarchisch geprägt ist, erforschen sie, wie sich eine Arbeitswelt etablieren lässt, die auf feministischen Prinzipien basiert. Und auch die Bewegung Zebras Unite finde ich super – die Plattform führt spannende Unternehmen auf, die völlig anders arbeiten wollen und dies auch bereits tun.

 

Interview: Lesley Sevriens

Fotos: Lena Scherer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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