Lolita

Der 1955 erschienene Roman „Lolita“ war ein veritabler Skandal, der sogar zum zeitweisen Verbot des Buches in England und den USA führte. Der Vorwurf lautete – natürlich – Pornographie, auch wenn dies aus heutiger Sicht, wo Softporno Literatur wie „Fifty Shades of Grey“ zeitweise die Bestsellerlisten anführt, beinahe schon komisch wirkt. Bis heute ist aber die Hauptperson des Romans, der Literaturwissenschaftler Humbert Humbert, aus dessen Sicht in Form der Ich-Erzählung der Roman erzählt wird, ein Stein des Anstoßes. Im Mittelpunkt des Romans steht die annähernd pädophile Liebesbeziehung von Humbert Humbert zur, zu Beginn des Buches 12-jährigen, Dolores Haze. In der Rezeption fielen viele kritische Stimmen auf die Doppelbödigkeit der Erzählung herein, die einem Palimpsest nicht unähnlich ist. Interessant ist, dass dies ebenso für solche gilt, die das Buch als pornografisch vehement ablehnten, als auch für solche, die den literarischen Wert des Buches betonten, aber Humbert Humbert, aus dessen Perspektive die Erzählung ja erzählt wird, sozusagen von jeder Schuld freisprechen, indem sie in der „Nymphette“ (Humbert Humberts Ausdruck für Mädchen, die ihm den Kopf verdrehen) Lolita ein verdorbenes, sittenloses und sozusagen rücksichtslos-sexhungriges Wesen erkennen wollen. In gewisser Weise ist diese Sichtweise eine direkte Verlängerung des Motivs der „Femme fatale“, die Männer durch ihre Sexualität in den Abgrund stürzt, welches insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts beliebt war.

Die doppelbödige Erzählhaltung in Nabokovs Lolita

Schon das Vorwort gibt einem dabei alle Hinweise an die Hand, in dem der Leserschaft mitgeteilt wird, dass es sich bei dem vorliegenden „Bericht“ um das Werk des im Gefängnis verstorbenen „Humbert Humbert“ handelt. Konsequent weitergedacht heißt dies natürlich, dass sich jener Humbert Humbert mit dieser Form der Beichte von aller Schuld reinwaschen will. Nabokov mutet den Leserinnen und Lesern allerdings tatsächlich einiges zu, ist der Roman doch so kunstfertig gestrickt, dass man durchaus leicht Sympathie, ja Verständnis für den Ich-Erzähler aufbringt. Liest man das Buch aber mit dem verinnerlichten Wissen um die Intention des Ich-Erzählers, sich in ein möglichst gutes Licht zu rücken, scheint seine Monstrosität in der scheinbaren „Unschuld“ an den Ereignissen nur umso mehr auf.

Inhalt und Ablauf des Romans Lolita

Der 37-jährige Literaturwissenschaftler Humbert Humbert sucht im Sommer 1947 einen Rückzugsort, um ungestört an einem Projekt über französische Literatur für einen Verlag zu arbeiten. Dabei schaut er sich auch das Zimmer im Haus der Witwe Charlotte Haze in der neuenglischen Kleinstadt Ramsdale an. Obwohl die Witwe ihn abstößt, mietet er sich dort ein, denn er fühlt sich sofort sozusagen magisch von der 12-jährigen Tochter der Witwe, Dolores Haze, angezogen. Diese verfolgt er von nun an mit seiner gesamten Aufmerksamkeit und einem – erst einmal – unstillbaren Begehren. Schließlich schafft er es doch, Lolita, als die Mutter nicht zu Hause ist, zu einer aus einer Neckerei heraus beginnenden sexuellen Handlung zu manipulieren und sich „Erleichterung“ zu verschaffen. Kurz darauf schickt die Mutter Lolita ins Sommerlager, eine Katastrophe für Humbert Humbert. Zudem eröffnet sie ihm, dass sie sich in ihn verliebt habe und stellt ihn vor die Wahl, sie zu heiraten oder das Haus zu verlassen. Um in Lolitas Nähe bleiben zu können, willigt Humbert Humbert in die Heirat ein. Nachdem Charlotte Haze in den Tagebuchaufzeichnungen ihres Ehemanns dessen Besessenheit mit der eigenen Tochter entdeckt, schreibt sie Briefe an ihre Tochter, um die beiden dauerhaft voneinander zu trennen. Auf dem Weg zum Briefkasten wird sie „zufällig“ überfahren. Ob Humbert Humbert der Täter war, ist nicht klar, liegt aber natürlich nahe.

Humbert Humberts Ende

Nach dem Tod der Mutter erhält Humbert Humbert das Sorgerecht für Lolita und vergeht sich an ihr. Nach einiger Zeit lassen sich die beiden in der College-Stadt Beardsley nieder, Lolita besucht wieder die Schule, ergreift die Flucht, wird von Humbert Humbert wieder aufgespürt und anschließend gehen die beiden wieder auf Reisen. Diesmal allerdings auf Lolitas Wunsch und ihrer Route, verfolgt von einem Verehrer, der Humbert Humbert „seine“ Lolita sowieso schon längst ausgespannt hat. Am Ende landet Humbert Humbert – da hat ihn Lolita lange verlassen und verlangt lediglich Geld von ihm – im Knast, wo er, wie der Herausgeber im einleitenden Vorwort erzählt, verstirbt.

Verfilmung und Popkultur – Nabokov ist und bleibt aktuell

Lolita – das steht heute für eine Kindfrau, die eine oft ungesunde Verführbarkeit gegenüber älteren Männern ausstrahlt. Der Begriff ist inzwischen derart tief popkulturell verankert, dass sein Schreiben oder Sagen beim Gegenüber in den meisten Fällen die gewollten Assoziationsketten auslöst. In der Psychologie hat sich sogar der Terminus „Lolitakomplex“ (auch Nymphophilie) für das starke erotische und sexuelle Verlangen von Männern mittleren Alters zu Mädchen oder jungen Frauen durchgesetzt.

Von den beiden Verfilmungen, 1962 durch Stanley Kubrick sowie 1997 von Adrian Lyne, wird vor allem der Kubrick von Kritiker*innen bevorzugt. Am Ende bleiben aber beide Filme bei der Beschreibung und Ausgestaltung des Protagonisten sehr zweidimensional und deutlich flacher als das Buch, was allerdings teilweise auch dem Medium Film geschuldet ist, das sehr nahe und komplexe psychische Studien kaum zulässt.

Olympia Press – die verlegerische Heimat von Lolita

Zu guter Letzt müssen hier noch ein paar Worte zu dem Verlag Olympia Press geschrieben werden, der 1953 durch Maurice Girodias gegründet wurde und den Verlag seines Vaters, Obelisk Press, fortsetzte. Olympia Press spezialisierte sich auf englischsprachige Erotika, die aufgrund der rigiden Moralvorstellungen und (Selbst-)Zensur in den anglo-amerikanischen Ländern nicht oder kaum veröffentlicht werden konnten. Damit schloss Girodias doch ziemlich direkt an die Arbeit seines Vaters an, der in den 30er Jahren unter anderem Henry Miller, Anaïs Nin und Lawrence Durell verlegte. Daneben standen auch literarisch weniger ambitionierte erotische Bücher auf dem Verlagsprogramm, die im Allgemeinen den Großteil des Programms ausmachten. Daneben tat sich Olympia Press aber auch als Avantgarde-Verlag hervor und brachte unter anderem die Erstausgaben von Samuel Beckett heraus, ließ das Werk Jean Genets ins Englische übersetzen und publizierte Werke von William S. Burroughs, darunter auch das berühmte “Naked Lunch”, alles Titel, die zur Zeit ihres Erscheinens in England oder Amerika sonst kaum oder nie einen Verlag gefunden hätten.

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