Der Geschichten-Erzähler
Im Japanischen gibt es das schöne Wort ‘Ikigai’, das so viel wie ‘Lebenssinn’ bedeutet. Im besten Fall schenkt einem der eigene Beruf Lebenssinn und wird somit zur Berufung. So wie bei Lukas Klaschinski. Lukas ist der geborene Geschichtenerzähler. Ob der Podcast ‚180 Grad’, in dem er Menschen interviewt, die in ihrem Leben eine 180 Grad-Wende vollzogen haben oder ‚So bin ich eben’, ein Podcast, den er gemeinsam mit der Psychologin und Bestsellerautorin Stefanie Stahl betreibt oder aber humoristische und gesellschaftskritische Kurzfilme mit Klaas Heufer-Umlauf – der studierte Psychologe hat einen extrem hohen Output. Lukas arbeitet als Regisseur, Reporter, Autor, Moderator und Podcaster. Wir haben mit dem Berliner über die Zutaten einer guten Geschichte, sein dreijähriges „Restaurant-Reporter-Ich“ sowie darüber, weshalb Verluste einen gewissen Leidens- oder Handlungsdruck erzeugen, gesprochen.
Hallo Lukas, schön, dass du dir Zeit genommen hast. Auf einer Skala von 1 bis 10, wie fühlst du dich?
Ich würde sagen 7. Ich habe gestern Sport gemacht, das tut mir immer gut. Irgendwann findet man heraus, was der eigne Körper so braucht. Bei mir ist es eine Kombination aus Sport, nicht sooo viel Schlaf, guter Ernährung und guten Menschen um mich herum. Und Ziele und Träume sind sehr wichtig.
Was heißt „nicht so viel Schlaf“? Stehst du richtig früh auf?
Ja, in der Regel gegen fünf Uhr morgens.
Wow, das ist verdammt früh. Mit wie viel Schlaf kommst du aus?
So sechs Stunden, würd’ ich sagen.
Lukas als Moderator bei KissFM (Foto vom Livestream)
Alles fängt mit einem Gedanken an, mit einer Geschichte und einer Idee zu einer Sache. Und diese dann Wirklichkeit werden zu lassen, das ist wahrscheinlich mein größtes Talent.
Abgesehen davon, dass du nicht so viel Schlaf brauchst, was würdest du sagen, ist dein größtes Talent?
Sachen zu visionieren und umzusetzen und Menschen für die Umsetzung zu gewinnen. Alles fängt mit einem Gedanken an, mit einer Geschichte und einer Idee zu einer Sache. Und diese dann mit Menschen entstehen und gemeinsam Wirklichkeit werden zu lassen, ist für mich das Spannendste und wahrscheinlich mein größtes Talent.
Was deine größte Schwäche?
Ich kann nicht so gut verlieren. Außerdem bin ich manchmal nicht bereit, einfühlsam und die beste Version meiner selbst zu sein.
Weil du dann zu sehr in deinem Kopf bist oder weshalb?
Ja, oder weil ich dann auf die Gefühle keine Lust habe. Manchmal distanziere ich mich von meinen Gefühlen.
Eine Geschichte, aus der man lernt, aber von der man nicht unterhalten wird, ist ebenso wenig wert, wie eine Geschichte, die einen unterhält, aus der man jedoch nichts ziehen kann.
Du arbeitest als Regisseur, Autor, Reporter, Moderator und Podcaster. Woher rührt deine Leidenschaft fürs Geschichtenerzählen?
Ich glaube, ich erlebe gerne Dinge. Daraus ziehe ich einen Wert. Und ich möchte diesen Wert auch für andere erfahrbar machen. Meine Leidenschaft liegt darin, dass ich in meinem Leben sehr gerne lerne und gut unterhalten bin. Beides kommt beim Geschichtenerzählen zusammen. Eine Geschichte, aus der man lernt, aber von der man nicht unterhalten wird, ist ebenso wenig wert, wie eine Geschichte, die einen unterhält, aus der man jedoch nichts ziehen kann.
Wir Menschen sind uns in unserem Kern sehr ähnlich. Und ich glaube, in dem Moment, wo wir das begreifen, rücken wir alle ein Stück näher zusammen.
Du sagst von dir, dass du bereits als Dreijähriger als „Restaurant-Reporter“ unterwegs warst. Wie genau muss man sich das vorstellen?
Meine Mutter erzählt gerne die Geschichte, wie ich als Dreijähriger im Restaurant von Tisch zu Tisch gegangen bin und die Leute nach ihren Geschichten befragt habe. Die meisten Menschen waren immer ganz angetan. Wenn meine Eltern dann irgendwann gehen wollten, haben sie mich eingesammelt. Ich war irgendwie schon immer draußen und wollte erfahren, was andere Menschen erlebt haben. Wir Menschen sind uns in unserem Kern sehr ähnlich. Und ich glaube, in dem Moment, wo wir das begreifen, rücken wir alle ein Stück näher zusammen. Wenn jemand anfängt zu erzählen, ohne sich bewertet zu fühlen, kann das sehr befreiend sein.
Auf deiner Homepage verrätst du Folgendes: „Ich glaube, am meisten geprägt wurde ich von meiner Familie. Bei uns wurde immer alles offen auf den Tisch gepackt. Das hat auch manchmal genervt. Aber es gab eigentlich nichts, was ich nicht hätte fragen können. Keine Tabuthemen. “ Deine Familie hat dich also eindeutig stark geprägt. Was, würdest du sagen, hast du von deinem Vater gelernt, was von deiner Mutter?
Von meiner Mutter habe ich den Humor und die Empathiefähigkeit erlernt. Sie kann sehr schnell eine sehr tiefe Verbindung zu anderen Menschen aufbauen. Diese Fähigkeit kann und sollte ich definitiv noch weiter ausbauen. Von meinem Vater habe ich gelernt, wie ich Dinge selbst in die Hand nehme. Wie ich geschäftlich erfolgreich bin und meinen Weg gehe, ohne mich davon ablenken zu lassen, was andere denken und meinen und mein eigenes Ziel zu verfolgen.
Denkst du, dass deine Eltern heute stolz auf dich sind?
Ich glaube, sie würden es nicht als Stolz bezeichnen, aber sie sind sehr glücklich zu sehen, wo ich stehe und wie ich mein Leben lebe. Ich denke, dass es sie erfüllt, wenn sie mein Leben betrachten.
Bist du selbst auch erfüllt?
Zu 83 %.
Was fehlt zur 100?
Wenn ich das wüsste, würde ich versuchen, dahin zu kommen. Ich glaube, ich unterliege den ganz normalen Schwankungen des Lebens. Manchmal stehe ich auf und habe ein total gutes Gefühl zum Tag und dann gibt es bestimmt einen Tag im Monat, an dem ich auf nichts Bock habe. Ich glaube, dass diese natürlichen Schwankungen in unserer Evolution festgelegt sind, denn sonst gäbe es auch keinen Antrieb.
Ja, ich glaube auch, dass immer etwas fehlen muss. Und dass es genau diese Lücke ist, die eine Sehnsucht bewirkt und uns handeln lässt.
Unzufriedenheit oder auch das Bedürfnis, etwas zu besitzen, was wir im Moment noch nicht haben, sei es ein Gefühl oder etwas Materielles, sind ein ganz wichtiger Motor, der uns antreibt.
Bei mir ist es tiefe Sehnsucht, die mich schon seit Teenagerzeiten begleitet. Mittlerweile komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass sie gar nicht erfüllt werden muss, sondern glaube, dass sie ein Geschenk ist.
Unser Körper speichert bestimmte Situationen ab und wir suchen uns unbewusst, Situationen, um an dieses Gefühl und diesen hormonellen Zustand in Situationen wiederzuerlangen. Denn das ist der Status, in dem sich unser Körper am wohlsten fühlt. Das kann man ein bisschen mit einer Sucht vergleichen. Unser Körper ist quasi süchtig nach diesem bestimmten Hormoncocktail und wenn wir uns in einen anderen Zustand begeben, fühlt sich unser Körper plötzlich unwohl. Wenn sich jemand fragt, warum er sich immer wieder schuldig fühlt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er sich unterbewusst immer wieder Situationen sucht, in denen er oder sie genau das tun kann. Das heißt, Menschen suchen immer wieder den Kontext auf, in dem wir uns schuldig, sehnsüchtig etc. fühlen, um den Hormonhaushalt zu regulieren. Diese Dualität der Physis und Psyche ist gerade in der Therapie enorm wichtig, wird aber nicht selten vernachlässigt.
Verluste erzeugen einen gewissen Leidens- oder Handlungsdruck, aus dem heraus wir wieder lernen.
Wie sehr hilft dir dein psychologischer Background, bei dem, was du tust?
Er hilft mir in persönlichen Situationen, die Perspektive zu wechseln. Zum Beispiel zu gucken, worin liegt denn jetzt die Chance? Selbst in total bekackten Situationen. Was kann ich aus dieser Situation lernen? Verluste erzeugen einen gewissen Leidens- oder Handlungsdruck, aus dem heraus wir wieder lernen. Die Psychologie hilft mir aber natürlich auch in dem Moment, in dem ich mit einem anderen Menschen rede und zum Kern eines guten Interviews vorzudringen. Sprich, wenn man aufrichtig an der Geschichte eines anderen Menschen interessiert ist, statt an der Replikation der eigenen Sicht der Dinge.
Wie gut kennst du dich selbst inzwischen?
Ich bin glücklich darüber, dass ich mich immer wieder selbst überrasche. Mit Unsicherheit beispielsweise, die ich gar nicht mehr von mir erwartet hätte. Ich finde immer mehr heraus, wer ich bin und wie ich ticke. Aber ich glaube, das ist eine Reise, die kein Ende hat. Gerade der Veränderungsprozess ist ja das Spannende. Zu glauben, dass man jemals fertig ist, ist ein Trugschluss. Ich glaube, es gibt ganz selten Menschen, die 100 % mit sich im Reinen sind und die ihr Ego total abgelegt haben. Das trifft auch auf so genannte Gurus zu. Mein Vater, der sich als ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas intensiv mit der Bibel und Jesus auseinandergesetzt hat, hat mal einen schönen Satz dazu gesagt: „Jesus war ein Verrückter, der so sehr auf der Suche nach seinem Vater war, dass er ihn erfunden hat.“
Ich habe eigentlich alles von Hermann Hesse gelesen. Er ist für mich ein zeitloser Schriftsteller.
Apropos erfundene Geschichten. Erinnerst du dich noch an das erste Buch, das dich gefesselt und oder tief berührt hat?
Ja, die Bücher von Hermann Hesse. Ich habe eigentlich alles von Hesse gelesen. Er ist für mich ein zeitloser Schriftsteller. Vor allem sein Buch Siddharta hat mich fasziniert. Eine Geschichte, die von der Loslösung allen Materiellen und von der Reise ins Innere handelt. Ich selbst schwanke sehr zwischen diesen beiden Welten. Ich liebe manche materiellen Dinge. Beispielsweise habe ich ein Boot, das ich vor allem mit schönen Erlebnissen verknüpfe. Aber natürlich weiß ich und spüre auch, dass die innere Reise am Ende wesentlich wichtiger ist.
Was liest du aktuell?
Ein Buch, das mich in letzter Zeit sehr gefesselt hat, ist Eleven Rings von Phil Jackson. Das ist der ehemalige Erfolgs-Basketballtrainer der Chicago Bulls und Los Angeles Lakers. Am Ende ist das keine Geschichte über Basketball, sondern die Beschreibung eines Weges zu sich selbst in einer sehr kompetitiven Wettkampfsituation. Es geht vor allem darum, wie die Praxis von Buddhismus und Spiritualität in der höchsten Basketballliga zu Erfolg führen kann.
Lukas in “Nacktgefragt”
Wann und wo kommen dir die Ideen für deinen eigenen Output?
Wenn ich es am wenigsten versuche. Ich einer Sport- oder Freizeitsituation oder kurz vorm Einschlafen. Dann bekomme ich manchmal einen Geistesblitz. Außerdem in Gesprächen mit Geschäftspartnern. Und ganz oft steckt auch einfach ein persönliches Interesse dahinter. Jetzt gerade arbeiten wir an einem Spiel, das schon seit über einem Jahr auf meiner Agenda steht. Wichtig ist aber natürlich auch, nicht nur Ideen zu haben, sondern das Ideenumsetzen. Das ist der viel größere Part. Ganz viele kreative Menschen haben einen Counterpart, der für das Strukturelle verantwortlich ist. Deshalb habe ich ein Team um mich herum geschaffen, das genau diesen Counterpart erfüllt.
Um was für ein Spiel handelt es sich, das ihr da gerade entwickelt?
Um ein psychologisches Spiel, das einem bei der Selbstreflexion unterstützt. Aber mehr darf ich noch nicht verraten.
Oh, das klingt spannend. Wann wird das denn erscheinen?
Ich schätze in zwei bis drei Monaten.
Es gibt eine Sache, für die sich der Mensch am meisten interessiert und das ist er selbst.
Welche Zutaten braucht es für eine unterhaltsame Story?
Jede Geschichte braucht in irgendeiner Form eine Hürde. Ein Art Hindernis oder ein Missverständnis. Ein klassische Heldengeschichte, bei der eine Person beim Überwinden einer Hürde zunächst scheitert, dann jedoch ihr Ziel erreicht und mit Erreichen des Ziels zu besten oder einer anderen, nicht erwarteten Version ihrer selbst wird. Je komplexer die Geschichte ist, desto höher die Idenfikationsmöglichkeit. Dann geraten wir in Konflikte und fühlen mit den Protagonisten mit. Das sind die spannendsten Geschichten. Es gibt eine Sache, für die sich der Mensch am meisten interessiert und das ist er selbst.
Welcher deiner Geschichten oder Projekte hältst du für am gelungensten?
Ich habe da noch nie den Vergleich angestellt. Ein ganz wertvoller Weg jedoch ist meine Audioserie 180 Grad bei Audible, bei denen ich Menschen begegne, die eine 180 Grand-Wendung in ihrem Leben vollzogen und sehr tiefe und extreme Erfahrungen gemacht haben. Einer von ihnen ist Andreas Niedrig, der früher Heroinjunkie am Frankfurter Hauptbahnhof war und heute einer der besten Ironman der Welt ist.
Welcher Part deines Berufslebens erfüllt dich am meisten?
Es sind immer die Begegnungen mit Menschen, die mich am meisten erfüllen und abholen.
Empfindest du dein Leben eher als stressig oder entspannt und frei?
Ich komme aus einer Phase, in der ich 15 Jahre lang sehr intensiv und stringent gearbeitet habe, fast schon Workaholic-mäßig. Die Phase ist langsam am ausklingen. Ich arbeite immer noch gerne und viel – etwa 40 und 45 Stunden die Woche – allerdings habe ich heute ein besseres Team, das viele Aufgaben und Teilaufgaben übernimmt.
Wie würdest du dein Leben aktuell in drei Worten beschreiben?
Beziehung, Arbeit, Genuss.
21h Facetalk mit Lukas Klaschinski und Toyah Diebel
Erfolg hat weder etwas mit Geld, noch was mit Rang, sondern eher mit der Haltung, die man zu den Dingen hat, zu tun.
Wie definierst du Erfolg?
Erfolg bedeutet für mich, erfüllt zu sein, von dem, was ich umsetze. Erfolg bedeutet für mich auch, ehrlich zu sich selber sein zu können. Erfolg hat weder etwas mit Geld, noch was mit Rang, sondern eher mit der Haltung, die man zu den Dingen hat, zu tun.
Was würdest du gerne besser können?
Öfter loslassen und raus aus meinen Gedanken kommen. Vergeben. Und das Mitgefühl, das ich habe, besser zum Ausdruck bringen zu können.
Was lernst du aktuell?
Die Wechselseitigkeit des Lebens besser zu erkennen. Abhängigkeit und Unabhängigkeit sind gerade große Themen für mich. Wie fühle ich mich, wenn ich abhängig von jemandem bin und wie fühle ich mich auf der umgekehrten Seite?
Wer oder was hat dich zuletzt berührt?
Meine Tochter. Sie hat mir kürzlich zum ersten Mal gesagt, dass sie mich lieb hat. Das mich sehr berührt.
Wofür bist du dankbar?
Ich bin für meinen Beruf und was ich meinem Beruf umsetzen darf, sehr dankbar.
Was ist dein Lebensthema?
Authentische zwischenmenschliche Beziehungen und Kommunikation auf der verbalen und nonverbalen Ebene.
Welche Bücher, Podcasts etc. Kannst du empfehlen?
Ich höre sehr gerne Oprah’s Master Class von Oprah Winfrey, außerdem Invisibilia und Believe, beide von NPR. Ich höre am liebsten amerikanische Formate. Als Buch kann ich Ein neues Ich von Joe Despenza und The 5 Love Languages von Gary Chapman sehr empfehlen. Außerdem fand ich die Netflix-Dokumentation über The Game Changers sehr gut. Generell mag ich gut recherchierte Reporterformate.
WEBSITE: www.lukasklaschinski.de
Interview: Lesley Sevriens
Fotos: lukasklaschinski.de