Meine Berufung – Nico Krüger

Fotos by: Silje Paul

Ikigai –  Künstler und Handwerker Nico

Schriftsteller.de Interview mit Nico Krüger 

Im Japanischen gibt es das schöne Wort ‘Ikigai’, das so viel wie ‘Lebenssinn’ bedeutet. Im besten Fall schenkt einem der eigene Beruf Lebenssinn und wird somit zur Berufung – zur schicksalsmäßigen Bestimmung. Menschen und Berufe finden aus den unterschiedlichsten Beweggründen zusammen. Weil einem in der Vergangenheit dazu geraten wurde, eine bestimmte Lehre zu machen oder einen Studiengang zu belegen. Weil man dachte, es ließe sich ganz gutes Geld damit verdienen. Weil es sich über Umwege so ergeben hat. Oder aber weil man für eine Sache brennt. Es gibt Menschen, die begreifen ihre Arbeit tatsächlich als Ikigai. Als eine Berufung, die sie gegen kein Geld der Welt eintauschen würden. Nico Krüger aus Hamburg ist Künstler, Handwerker und Betreiber der Ideenverwertungsgesellschaft Pfund & Dollar und einer von ihnen.

 

Wie bist du zu dem gekommen, was du heute machst?

Ursprünglich habe ich eine Lehre zum Kaufmann im Groß- und Außenhandel absolviert. Danach habe ich alles Mögliche gemacht – ich bin Pizza ausgefahren, habe Sportübertragungen für Premiere gemacht und beim Bravo-Leserservice gearbeitet. Irgendwann hatte ich dann keine Lust mehr auf eine Festanstellung und habe mich selbstständig gemacht. Zuerst habe ich mit einer Architektin zusammengearbeitet. In der Zeit habe ich das Handwerk von Grund auf gelernt – Mauern, Fliesen legen und so weiter. Und ich bin viel mit einem Tischler unterwegs gewesen. Nach und nach habe ich dann immer mehr meine eigenen Sachen gemacht.

 

Wir wollten nicht bloß nur Produkte verkaufen, sondern Veranstaltungen machen, kleine Filmchen drehen, Festivals, Kunstprojekte und Ausstellungen initiieren.

 

Wie kam es zur Gründung eurer Ideenverwertungsgesellschaft Pfund & Dollar?

Ich habe zunächst die kaufmännische Arbeit für Carsten Jägerin (Mitbegründer vom Lockengelöt), einem befreundeten Hamburger Produktdesigner übernommen. Daraus ist dann 2008 Pfund & Dollar entstanden. Wir wollten nicht bloß nur Produkte verkaufen, sondern auch Veranstaltungen machen, kleine Filmchen drehen, Festivals, Kunstprojekte und Ausstellungen initiieren. Karsten und ich sind dann irgendwann ins Gängeviertel gegangen und haben dort ein Atelier aufgemacht, und dann innerhalb des Gängeviertels verschiedene kleine Läden eröffnet. Irgendwann jedoch stand die Sanierung der Gängeviertel-Fabrik an und die ganzen Projekte mussten raus. Über die Hamburger Kreativgesellschaft wurde den Künstlern das Oberhafenquartier als Exil angeboten. Da habe ich mich direkt angeschlossen.

 

Wann war das?

2014. Seitdem bin ich hier und betreibe gemeinsam mit anderen diese ziemlich unkonventionelle Werkstatt – ein Mix aus Arbeits- und Werkstätte, Galerie und Clubraum. Seit Juni 2019 finden hier auch regelmäßige Ausstellungen statt und jeden Donnerstag feiern wir den so genannten „Kleinen Freitag“ – einen Abend mit experimenteller Live-Musik.

 

Zu wie vielen Leuten seid hier insgesamt?

Insgesamt sind wir derzeit vier Leute, die sich mit Holz beschäftigen. Martin Schwabe, Moritz Deselaers, Arne Krüger und ich. Dann gibt es noch die Schlosserei Gunsenheimer, einen Praktikanten sowie eine Galeriemanagerin, die derzeit ehrenamtlich tätig ist.

 

 

Was macht für dich den Reiz des Oberhafenquartiers aus?
Die Örtlichkeit an sich, das kreative Umfeld und die Leute, mit denen man hier zusammen ist – die Leute von der Filmfabrik, der Gorilla-Küche und den Werkstätten, die hier angesiedelt sind. Hier kann man laut sein und sein Ding machen. Es ist einfach ein sehr schönes, freies Quartier.

 

Die Hamburger Kreativgesellschaft setzt sich sehr stark dafür ein, dass das Oberhafenquartier als Gegenpol zur Hafencity existieren kann.

 

Fühlst du dich von der Stadt Hamburg unterstützt?

Die Hamburger Kreativgesellschaft setzt sich auf jeden Fall sehr stark dafür ein, dass das Oberhafenquartier hier als Gegenpol zur Hafencity existieren kann. Wir sind quasi der „Schandfleck“, auf dem ganz viel Leben stattfindet. Wir werden da schon gut supportet.

 

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass der Spirit hier erhalten bleibt, wenn die Sanierung des Quartiers irgendwann abgeschlossen ist. Und ich hoffe, dass man sich, wenn das Quartier öffentlicher und lukrativer wird, nicht plötzlich als großes Unternehmen darstellen muss und sich den Platz mit Edeka und Starbucks teilen muss. Und ich wünsche mir, weitere Leute in Lohn und Brot zu bringen. Dass wir es schaffen, mit den Sachen die wir gerne tun, vielleicht auch ein paar mehr Haushalte zu versorgen. Ich hoffe, dass, wenn der Oberhafen ab spätestens 2022 auch von der zweiten Seite geöffnet ist, mehr Menschen hier entlangflanieren werden und wir dementsprechend mehr Aufmerksamkeit bekommen werden.

 

 

Hast du das Gefühl, du machst genau das, was du immer schon machen wolltest?

Ich mach auf jeden Fall genau das, was ich machen möchte. Und ich bin sehr froh, diesen Ort gefunden zu haben. Ich würde das Ganze aber auf jeden Fall gerne noch ausbauen. Also das Thema Galerie ausweiten, größere Möbelserien starten und so weiter.

 

Auf welche Fähigkeiten bist du besonders stolz?

Auf meine Diversität. Also darauf, dass ich mich in ganz vielen Themenbereichen auskenne – ob Holz, Metall, Elektrik oder Strom im Allgemeinen. Und auch auf meine kaufmännischen, organisatorischen, logistischen und künstlerischen Skills.

 

Wenn andere Leute glücklich sind, mit dem was hier geschaffen wird, dann erfüllt mich das mit Freude.

 

Woraus ziehst du deine größte Freude

Wenn ich irgendwas kreiere das großen Anklang findet. Wenn eine Ausstellung gut besucht ist oder wenn ein Möbelstück großen Zuspruch bekommt. Wenn andere Leute glücklich sind, mit dem was hier geschaffen wird, dann erfüllt mich das mit Freude.

 

Es wird so viel weggeschmissen. Aus den Sachen lassen sich noch unendlich viele schöne Möbel bauen. Ich bin sehr dafür, Sachen wiederzuverwerten.

 

Mit welchen Hölzern und Materialien arbeitest du am liebsten?

Mit Materialien, die ich auf dem Müll finde. Dort habe ich auch schon Edelhölzer gefunden. Ansonsten arbeite ich gerne mit Eiche, Esche oder sonstigen Edelhölzern. Aber am liebsten entdecke ich Sachen auf dem Müllcontainer und baue daraus ein schönes Möbelstück.

 

Hast du eine Art Lebensmotto?

Ich möchte mit Pfund & Dollar Sachen finden und sie noch doller machen. Dabei geht es nicht darum, neue Sachen einzukaufen. Es muss nicht immer der nächste Baum gefällt werden, denn viele alte Dinge haben eine wunderschöne Patina. Es wird so viel weggeschmissen, etwa nach Werbedrehs oder Messen. Aus den Sachen lassen sich noch unendlich viele tolle Möbel draus bauen. Ich bin sehr dafür, Sachen wiederzuverwerten.

 

Mit welchen Projekten seid ihr aktuell beschäftigt?

Wir planen gerade den Ausbau für einen ‘Unverpackt’-Laden in Hamburg-Eppendorf. Das wird spannend. Oft sind es auch kleinere Projekte, wie Freunde, die ein Bett bauen möchten. Für die machen wir dann hier den Zuschnitt und erklären, wie man das Ganze am besten angehen kann. Wenn wir nicht bloß stumpf Jobs durchballern, sondern unterschiedlichste kleine und große Projekte haben, finde ich das am schönsten.

 

Arbeit ist ja für viele Leute ein Schimpfwort. Ich kann nur sagen, dass ich wahnsinnig gerne arbeite. Wer das nicht tut, macht irgendwas falsch.

 

 

Wie würdest du die Arbeitsatmosphäre hier beschreiben?

Das hier ist ja nicht einfach nur eine Werkstatt, sondern eine Begegnungsstätte. Viele Freunde und Bekannte kommen her und gucken mal kurz rein oder setzen kleine Projekte um. Ich würde sagen, dass hier eine sehr unkonventionelle Arbeitsatmosphäre herrscht. Wir arbeiten nicht von nine to five, sondern mal von zwölf Uhr mittags bis abends um sechs und dann auch mal auch von zehn Uhr morgens bis um 2 Uhr nachts oder sogar die ganze Nacht durch. Aber nicht weil es zwingend erforderlich ist, sondern weil wir auch einfach Spaß bei der Arbeit haben. Mal arbeiten wir zu zweit oder dritt an einer Sache, dann wieder hat jeder sein eigenes Projekt. Ein fester Rhythmus fehlt, aber ich glaube, das ist allen sehr recht so.

 

Fühlt sich das überhaupt nach Arbeit an?

Arbeit ist ja für viele Leute ein Schimpfwort. Ich kann nur sagen, dass ich wahnsinnig gerne arbeite. Wer das nicht tut, macht irgendwas falsch. Man verbringt ein Drittel seines Tages mit Arbeit, da sollte man schon Spaß daran haben.

 

Hast du abschießend einen Buchtipp für unsere Leser*innen?

Demian von Hermann Hesse – das Buch behandelt die Kindheit und Jugend von Emil Sinclair und erzählt von seinem Heranwachsen und seiner Charakterbildung und davon, wie er immer mehr an Selbstvertrauen gewinnt und verschiedene Welten entdeckt. 

Interview: Lesley Sevriens

Fotos: Silje Paul

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