Meine Berufung – Norbert Schulz

Fotos by: Jewgeni Roppel

Ikigai – Zweiradmechaniker Nosch

Schriftsteller.de Interview mit Norbert Schulz

Im Japanischen gibt es das schöne Wort ‘Ikigai’, das so viel wie ‘Lebenssinn’ bedeutet. Im besten Fall schenkt einem der eigene Beruf Lebenssinn und wird somit zur Berufung – zur schicksalsmäßigen Bestimmung. Menschen und Berufe finden aus den unterschiedlichsten Beweggründen zusammen. Weil einem in der Vergangenheit dazu geraten wurde, eine bestimmte Lehre zu machen oder einen Studiengang zu belegen. Weil man dachte, es ließe sich ganz gutes Geld damit verdienen. Weil es sich über Umwege so ergeben hat. Oder aber weil man für eine Sache brennt. Es gibt Menschen, die begreifen ihre Arbeit tatsächlich als Ikigai. Als eine Berufung, die sie gegen kein Geld der Welt eintauschen würden. Norbert Schulz, genannt Nosch, aus dem niedersächsischen Seevetal ist Zweiradmechaniker und einer von ihnen.

 

Seit wann übst du deinen Beruf aus?

Seit 1994. Gelernt habe ich Gas-Wasserinstallateur. Im Anschluss an die Lehre habe ich alles Mögliche gemacht – von Tischlern über Wohnmobile ausbauen und LKW fahren. Im zarten Alter von 29 habe ich dann eine Umschulung zum Mechaniker angefangen, da ich das machen wollte, worauf ich wirklich Lust habe. Ich habe zunächst bei verschiedenen Motorradhändlern gearbeitet und mich 1997 dann selbstständig gemacht.

 

Hast du dich vorher schon für Mechanik interessiert?

Ich habe immer schon gerne geschraubt. Mit 14 habe ich mein erstes Mofa gekriegt. Das habe ich in sämtliche Teile zerlegt, zusammengebaut und zum Laufen gebracht. Mit der Zeit bin ich dann logischerweise aufs Motorrad gekommen. Die Leute kommen übrigens auch mit ihrer kaputten Kettensäge oder ihrem Rasenmäher zu mir und fragen, ob ich die Sachen für sie reparieren oder zusammenschweißen kann.

 

Man muss einen gewissen Idealismus haben, um das hier zu machen.

 

Welcher Teil deiner Arbeit erfüllt dich am meisten?

Neulich hat ein Kollege eine 70 Jahre alte ‘Ariel’ zu mir gebracht, die nicht mehr funktionierte. Wenn du so ein altes Motorrad nach langer Standzeit wieder zum Laufen kriegst, ist das einfach faszinierend. Und wenn der Kunde dann mit leuchtenden Augen vor dir steht und sich wie ein kleines Kind freut, dass das Ding wieder läuft, ist das einfach genial und sehr erfüllend. Aber man muss schon einen gewissen Idealismus haben, um das hier zu machen, weil man nicht einfach Stunde um Stunde aufrechnen kann. Solche Sachen wie das Arbeiten an der ‘Ariel’ sind echte Herzblut-Projekte. Das kannst du nicht in Geld aufrechnen.

 

„Ich habe Kunden, die seit über 20 Jahren zu mir kommen. Daraus sind Freundschaften entstanden, man wird quasi zusammen alt.“

 

Gehörst du einer aussterbenden Spezies an?

Also das, was ich hier mache, macht heutzutage kaum noch einer. Klar, die Oldtimer-Szene lebt, aber es sind nur noch wenige, die sich an so alte Maschinen überhaupt rantrauen.

Wenn du heute zu den namhaften Händlern wie BMW oder Ducati gehst, dann sind das Glaspaläste, in denen die Leute abgefertigt werden. Es gibt dort nichts Persönliches. Ich habe Kunden, die seit über 20 Jahren zu mir kommen. Daraus sind echte Freundschaften entstanden, man wird quasi zusammen alt. Da drüben steht eine alte ‘Triumph’. Den Besitzer und die Maschine kenne ich seit 1993.

 

Wie viele Stunden arbeitest du durchschnittlich am Tag?

Das variiert enorm. Zwischen fünf und zwölf Stunden, je nach Auftragslage.

 

Gab es einen Moment, in dem du deinen Mechaniker-Beruf am liebsten gegen etwas ganz anderes eingetauscht hättest?

Solche Momente hat wahrscheinlich jeder mal, in denen einem alles bis hier steht (zieht mit einer flachen Hand eine Linie unterhalb des Kinns). Aber das beruhigt sich dann auch schnell wieder. Manchmal nervt das ganze Drumherum – die Buchhaltung, die Steuer und was eben so dazugehört. Und natürlich handelt es sich um ein Saisongeschäft. Vor einigen Jahren hatte ich mal einen Winter, in dem ich vier, fünf Monate so gut wie nix zu tun hatte. Das muss man aushalten können. Was ich hier am meisten genieße, ist meine Freiheit. Wenn schönes Wetter ist, kann ich auch einfach mal eine Stunde dichtmachen und Motorrad fahren. Ich bin absolut niemandem Rechenschaft schuldig.

 

Meine Lebensphilosophie: Was ich nicht kann, kann ich lernen.

 

Hast du eine Art Lebensmotto oder Lebensphilosophie?

Ja, und zwar: ‘Was ich nicht kann, kann ich lernen’. Viele Sachen habe ich mir selbst beigebracht. Wichtig ist, dass du nicht aufgibst. Du musst dich mit einem Problem auseinandersetzen, recherchieren und tief in die Materie eindringen. Damit wächst du natürlich auch.

 

Hast du einen Lieblingshersteller?

1989 bin ich auf die ‘Moto Guzzi’ gekommen und seitdem nie wieder davon losgekommen. Dieser V2, dieses Motorengeräusch ist einfach genial. Inzwischen habe ich viele Leute um mich gescharrt, die ihre Guzzis zu mir bringen. Ich habe einen Kunden, der früher mal hier im Landkreis Harburg gewohnt hat und dann nach Österreich gezogen ist. Der bringt seine alte Yamaha aus 1000 Kilometer Entfernung zu mir, um sie warten zu lassen. Bei ihm gibt es einfach keine vernünftigen Mechaniker, die Bock auf alte Maschinen haben. Es gibt Kunden, die aus 200 bis 300 Kilometern Entfernung zu mir kommen. Das schmeichelt natürlich dem Ego.

 

Welche Komplimente gehen runter wie Öl?

Wenn Kunden mich anrufen, um sich für die tolle Zusammenarbeit der vergangenen Jahre oder Jahrzehnte zu bedanken. Manche verabschieden sich dann auch, weil sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr Motorrad fahren können. Das geht schon unter die Haut …

 

In solchen Momenten wird einem bestimmt auch bewusst, dass man ja selbst auch nicht unendlich lebt …

Das ist wohl wahr. Von der eigenen Sterblichkeit bin ich leider fest überzeugt.

 

 

Das Handwerk geht verloren. Was nützt es dir, wenn du gut mit dem PC umgehen, aber keinen Wasserhahn reparieren kannst?

Umso wichtiger, dass man seine Lebenszeit mit möglichst viel Sinnhaftigkeit erfüllt. Über welche wichtigen handwerklichen Fähigkeiten sollten junge Menschen deiner Meinung nach verfügen?

Generell sollte unsere Jugend einfach wieder mehr Handwerk erlernen, bevor sie anfängt zu studieren. Das Handwerk geht komplett verloren. Das zeigt sich in vielen Bereichen. Einfach mal einen Hammer oder Schraubenzieher in die Hand zu nehmen und sich die Finger schmutzig zu machen, da haben die meisten jungen Leute gar keine Lust mehr drauf. Heutzutage kann man sein Geld natürlich leichter verdienen, wenn man sich gut mit Rechnern auskennt. Aber was nützt es dir, wenn du mit dem PC umgehen, aber keinen Wasserhahn reparieren kannst und drei Monate auf den Klempner wartest?

 

Auf welche Fähigkeiten bist du besonders stolz?

Auf meine Beharrlichkeit. Wenn ich etwas angefangen habe, dann möchte ich es auch zu Ende bringen. Koste es, was es wolle, das muss irgendwie wieder zum Laufen gebracht werden. Ich baue auch viele Sachen selber, so wie diesen Beiwagen, den ich nach meinen Vorstellungen komplett aus Alublech gebaut habe. Dafür habe ich mir Aluschweißen beigebracht, auch das Design habe ich komplett selbst entwickelt. Auf Wunsch nehme ich auch Umbauten für Kunden vor und verschönere ihre Maschinen.

 

 

Welches Buch rund um das Thema Motorräder kannst du empfehlen?

Das Buch Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten – ein totaler Klassiker. In dem Roman geht es um eine sommerliche Motorrad-Reise von einem Vater und dessen Sohn. Die beiden reisen durch den Nordwesten von Amerika und philosophieren dabei über das Leben.

https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/ID63890925.html?utm_medium=psm&utm_source=www.billiger.de&ProvID=11002841&ReferrerID=112184

 

Eine Webseite hat Norbert Schulz nicht (sein Business funktioniert hervorragend durch Mund-zu-Mund-Propaganda), wer ihn jedoch kontaktieren möchte, findet seine Kontaktdaten problemlos via Suchmaschine.

 

Interview: Lesley Sevriens

Fotos: Jewgeni Roppel 

 

 

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