Der Kriminalroman „Mord im Orient-Express“ ist der 14. Roman aus der Feder von Agatha Christie, der Queen of Crime und bis heute einer ihrer beliebtesten und erfolgreichsten Romane. Dies zeigt sich auch an den bis heute insgesamt sechs Verfilmungen des Stoffes, die letzte davon aus dem Jahr 2017 und eine, die das Geschehen nach Japan verlegt. Hauptperson ist der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot, der die ihm überantworteten Fälle mit seinen „kleinen grauen Zellen“ löst – durch Beobachtungsgabe, feines psychologisches Gespür und einen untrüglichen Sinn für die unwichtigsten Nebensächlichkeiten, die nicht selten zur Überführung des Täters beitragen. Der Roman ist Agatha Christies zweitem Ehemann Max Mallowan gewidmet und der Hintergrund der von Christie gesponnenen Fiktion basiert lose auf einer wahren Begebenheit (siehe unten: Die Affäre Armstrong und ihre Vorlage).
An Bord des Orient-Express
Der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot möchte mit dem Orient-Express von Istanbul nach London reisen, muss aber feststellen, dass der Zug ausgebucht ist. Dies ist mitten im Winter höchst ungewöhnlich und dem Meisterdetektiv bleibt nichts anderes übrig, als seine Beziehungen spielen zu lassen, um schließlich durch Mr. Bouc, den Direktor des Zuges, doch noch ein Abteilplatz zugewiesen zu bekommen. In dem rollenden Grand Hotel lernt Poirot beim Essen und abendlichen Drinks die Mitreisenden oberflächlich kennen. Der doch recht bunte Haufen besteht aus Größen wie der älteren Prinzessin Dragomiroff, einer russischen Adligen, samt Zofe, und Graf und Gräfin Adrenyi, die gar unter diplomatischen Visa reisen sowie ganz gewöhnlichen Charakteren wie dem griechischen Arzt Dr. Stavros Constanine, einem britischen Colonel, eine Missionarin, eine etwas einfältige Amerikanerin und so weiter. Heraus sticht vor allem der in Begleitung eines Sekretärs und eines Butlers (Valets) reisende Amerikaner Samuel Edward Ratchett, der trotz seines großen Auftritts und kleinen Hofstaates von Bediensteten einen fast ungepflegten und vor allem unkultivierten Eindruck macht.
Eingeschneit und ein mysteriöser Mord
Die Geschehnisse nehmen richtig Fahrt auf, als der Orient-Express in der Nacht in den Bergen zwischen Vinkovci und Brod im damaligen Königtum Jugoslawien (nicht zu verwechseln mit dem späteren sozialistischen Staatenbund) aufgrund einer schweren Schneeverwehung zum Stehen kommt. Dieses Ereignis wird in den Filmadaptionen gerne als dramatisches Lawinenereignis dargestellt. Zusätzlich ist auch noch der Telegraf ausgefallen und so kommt der Morgen und das nervenaufreibende Warten auf Hilfe, während die Reisegesellschaft mitten im Gebirge festsitzt. Dann wird auch noch die Leiche des Amerikaners Samuel Edward Ratchett gefunden, der von zwölf ganz unterschiedlich tiefen Messerstichen von ein und demselben Messer getötet wurde. In seiner durch die Isolation erschwerte Lage bittet der Bahndirektor Mr. Bouc Hercule Poirot, dern Mord aufzuklären – möglichst noch bevor der Bahnhof von Brod erreicht wird und die jugoslawische Polizei eingeschaltet werden muss.
Die Ermittlungen
In dem engen Rahmen des Zuges wird die Leiche und das Abteil des toten Amerikaners untersucht. Erste Indizien scheinen aber kaum wirklich mehr Klarheit in die Angelegenheit zu bringen. Danach vernimmt Hercule Poirot alle der Mitreisenden einen nach dem anderen und bringt nicht nur einige Widersprüchlichkeiten zu Tage, sondern kann anschließend auch einige der Lügen, welche die Mitreisenden ihm auftischen, zu entlarven. Nach und nach stellt sich so heraus, das fast alle Mitreisenden (und sogar der Schaffner) in der einen oder anderen Weise Verbindungen zur Familie Armstrong haben und direkt oder indirekt mit dieser großen Tragödie in Verbindung stehen und von dieser beeinflusst wurden.
Die Affäre Armstrong und ihre Vorlage
Die im Hintergrund die Geschehnisse im Orient-Express bestimmende Geschichte ist die im Buch so genannte Affäre Armstrong, in die auch Hercule Poirot selbst fast verwickelt worden wäre. Dabei dreht sich alles um die Entführung des (sehr jungen) Mädchens Daisy Armstrong vor einigen Jahren. Das Lösegeld wurde gezahlt, Daisy Armstrong ermordet aufgefunden und der Schuldige entkam – woran Mutter und Vater zerbrachen und sich das Leben nahmen. Ein weiteres Opfer des Entführers war eine zu Unrecht beschuldigte Hausangestellte, die sich ebenso vor Scham das Leben nahm. Der Entführer, ein gewisser Casetti, konnte hingegen nie gefasst werden, aber Poirot findet in einem nicht gänzlich verbrannten Brief Hinweise darauf, dass es sich bei dem Ermordeten Ratchett in Wirklichkeit um eben jenen Casetti handelt. Nimmt man nun die Verbindungen aller anderen Passagiere zu den Armstrongs hinzu, dann hat jeder von ihnen ein Motiv.
Als Vorlage für die Armstrongs und die Tragödie um Daisy diente Agatha Christie die Entführung des Lindbergh Babys im Jahr 1932. Der zur zeit der Entführung gerade einmal 20 Monate alte Sohn des weltweit bekannten Flugpioniers Charles Lindbergh wurde aus dem Elternhaus entführt und ermordet, obwohl Lindbergh das geforderte Lösegeld von 50.000 Dollar (damals eine ziemliche Summe) zahlte. Aufgrund der Bekanntheit Lindberghs schlug die Entführung weltweit Wellen in den Zeitungen und war 1934, dem Erscheinungsjahr von Christie´s „Mord im Orient-Express“ noch unaufgeklärt. An der tatsächlichen Schuldigkeit des 1936 für das Verbrechen zum Tode verurteilten Bruno Hauptmann, der die Tat bis zum Ende bestritt, bestehen bis heute berechtigte Zweifel.
Falsche Fährten und des Rätsels Lösung
Im Verlauf des Romans wird Poirot belogen, auf falsche Fährten gesetzt und die Verdächtigen geben sich über Ecken alle gegenseitig ein Alibi. Eine vertrackte Kiste, die der Meisterdetektiv schließlich doch mithilfe seiner „kleinen grauen Zellen“ in typischer Christie Manier lösen kann. Zum großen Finale und der Enthüllung des Schuldigen werden alle Reisenden im luxuriösen Speisewagen zusammengerufen, während draußen aus Brod gesandte Arbeiter die Schneeverwehung beseitigen. Und nein, die Auflösung nennen wir hier nicht, das würde ja den Lesespaß zumindest zu einem Gutteil zerstören.
Adaptionen für Film und Fernsehen
Mit inzwischen fünf eigenen Verfilmungen kann der „Mord im Orient-Express“ mit einigem Recht als eines der am meisten verfilmten Schriftwerke gelten. Die erste Verfilmung durch Sidney Lumet hält sich nah an der Romanvorlage und gilt gemeinhin als ein echter Klassiker. Der beliebteste Darsteller des Hercule Poirot hingegen dürfte David Suchet sein, der in 70 Folgen der Fernsehserie Agatha Christie´s Poirot so ziemlich alle Fälle des belgischen Meisterdetektivs gelöst hat. Die neueste Verfilmung durch Kenneth Brannagh, der auch gleich selber den Poirot mimt, füttert die Originalhandlung mit deutlich mehr Action an, eine Konzession an das heutige Mainstream Kino Publikum, die allerdings nicht immer wirklich glücklich wirkt.