On the Road

Machte auch im echten Leben eine gute Figur: Jack Kerouac

Atemlos und berauscht. Das sind die zwei Adjektive, die das mit Abstand bekannteste Werk Jack Kerouacs vielleicht am besten beschreiben. Dabei kratzen beide Wörter aber natürlich nur an der Oberfläche dieses Textes, der nicht umsonst zu den einflussreichsten amerikanischen Romanen der Nachkriegszeit gezählt wird. Man kann „Unterwegs“, um den deutschen Titel zu nutzen, auf mehrere Arten lesen: als eine Reisebeschreibung und Porträt einer Generation, als avantgardistisches Experiment einer neuen Art des Schreibens, als „Suche“ nach Gott, nach dem „it“, nach etwas, das größer ist, als man selbst, und das über Verlust und Tod hinweghelfen kann (und das natürlich nie gefunden wird). Eine weitere Interpretation sieht in diesem teils trunkenen, teils promiskuitiven und immer hinaus, in den weiten Raum des Kontinents drängenden Buches vor allem die Kritik der kapitalistischen Form von Männlichkeit, die sich über Geld definiert, und ersetzt diese sozusagen mit der eher klassischen Western- und Pioniermotiv von Eroberung und Selbstfindung im Spiegel mit der Weite des Landes und der Natur.

On the Road: kreuz und quer durch die USA

Das Buch ist – mit Unterbrechungen – eine einzige Abfolge von Reisen kreuz und quer durch die USA. Von der Ost- zur Westküste, von Chicago nach Mexiko, immer wieder durch Aufenthalte in New York, San Francisco, Mexico City rhythmisiert. Die beiden zentralen Figuren sind Sal Paradise, der Erzähler, aus dessen Sicht die Handlung wiedergegeben wird und hinter dem sich Kerouac selbst versteckt, sowie Dean Moriarty, der „König der Goofs“ (KING OF GOOFS), der so etwas wie ein (katastrophales!) Vorbild für Sal ist, da er die seltsame Befähigung zur totalen Entgrenzung besitzt und unstet von Kick zu Kick treibt und dabei links und rechts über die im Buch dargestellten Jahre Frauen und Kinder zurücklässt. Selbst Sal lässt er schließlich allein in Mexico City zurück, wenn dieser mit einer schweren Magenerkrankung niederkommt. Hinter der Figur Dean Moriarty versteckt sich Kerouacs Freund Neal Cassidy. Diese Pseudonyme für real existierende Personen ziehen sich durch das ganze publizierte Buch und es treten fast alle bekannteren Mitglieder der Beat-Generation auf, darunter William S. Burroughs (Old Bull Lee), Allen Ginsberg (Carlo Marx) und viele mehr. Ein wirkliches Ziel, eine Auflösung, gibt es nicht, was zeitgenössische Kritiker und Kritikerinnen dem Buch auch durchaus vorwarfen. Aus heutiger Perspektive und im Hinblick auf Kerouacs späterer, intensiven Beschäftigung mit dem Buddhismus wird man in „Unterwegs“ vielleicht eher die östliche Weisheit „Der Weg ist das Ziel“ erzählerisch umgesetzt sehen. Es geht nicht um Auflösung, sondern um Suche und Bewegung, um Erfahrung und elektrisiertes Leben, um das, was im Buch als „Brennen“ bezeichnet wird.

Spontane Prosa – Jack Kerouacs avantgardistischer Schreibstil

Auch wenn On the Road oder „Unterwegs“ für Leser und Leserinnen leicht zugänglich ist und sich gerade bei jungen Leuten einer ungebrochenen Beliebtheit erfreut, muss man den Stil, in dem es geschrieben ist, auch aus heutiger Sicht noch als avantgardistisch und experimentell bezeichnen. Dies tritt in den späteren Werken des Autors noch deutlicher zutage, weshalb diese wohl auch nie dieselbe, große Leserschaft erreichten. Kerouac selbst bezeichnete seine Schreibweise gerne als „spontane Prosa“ und schrieb häufig wie im Rausch – manchmal tage- oder gar wochenlang – unter dem Einfluss von Alkohol und Aufputschmitteln. Um nicht durch die Schreibmaschine beim Schreibstrom gestört zu werden, entwickelte er eine Technik, in der er Papier zu langen Bahnen zusammenklebte. Das erhaltene Originalmanuskript von „Unterwegs“ ist eine über 36 Meter lange Rolle Papier, von Kerouac „The Scroll“ genannt. Auch wenn „The Scroll“ heute in Privatbesitz eines Sammlers ist, wird sie von Zeit zu Zeit in Bibliotheken oder bei Ausstellungen öffentlich gezeigt, so zum Beispiel 2012 in Paris. Allen Ginsberg, der am Anfang nicht viel von Kerouacs „spontanem“ herangehen an das Schreiben hielt, versuchte die Technik später auf die Lyrik zu übertragen. In gewisser Weise ist die „spontane Prosa“ eine Abwandlung oder Anpassung der surrealistischen Écriture Automatique (das „automatische Schreiben“) und muss wohl auch als eine der Vorbedingungen für die dann in Paris von Boris Gysin entwickelte Cut-Up Technik gelten, durch die „Naked Lunch“, das wahrscheinlich bekannteste Werk von William S. Burroughs, überhaupt erst zustande kommen konnte.

Originalmanuskript und Überarbeitungen – Editionsgeschichte von On the Road

Das 1957 veröffentlichte Buch weicht mitunter stark von dem „The Scroll“ genannten Originalmanuskript ab. In Letzterer waren die Namen nicht mit Pseudonymen versehen und insbesondere die Sexszenen sind weitaus expliziter. Wohl auch aufgrund der Schwierigkeiten, überhaupt einen Verlag für sein Werk zu finden, ist die gedruckte Version um einiges zahmer als das Original von 1951. Trotzdem brachte das Buch Kerouac neben einigem Ruhm auch eine Menge Ablehnung ein. Insbesondere der offene Umgang mit Homosexualität und Drogen im Buch machten den Schriftsteller über Nacht zu einer Hassfigur für Konservative, was sogar in tätlichen Angriffen auf Kerouac gipfelte. Anders als bei „Howl“ von Ginsberg und „Naked Lunch“ von Burroughs kam es allerdings nicht zu gerichtlichen Auseinandersetzungen über das Buch. Die erste Version des Manuskriptes, wie sie auf „The Scroll“ zu lesen ist, wurde von Kerouacs Verlag, Viking Press, 2007 zum 50. Jubiläum des Erscheinens von „On the Road“ als „On the Road: The Original Scroll“ veröffentlicht.

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