Pur, das Restaurant – Digital und regional? Jetzt erst recht!

Fotos by: Mandus Pe

Ikigai –  Restaurantbetreiber  Margot und Karl Hutter

Interview mit Karl Hutter

Im Japanischen gibt es das schöne Wort ‘Ikigai’, das so viel wie ‘Lebenssinn’ bedeutet. Im besten Fall schenkt einem der eigene Beruf Lebenssinn und wird somit zur Berufung – zur schicksalsmäßigen Bestimmung. So wie Karl und Margot Hutter, die beiden Betreiber des Lütjenburger Restaurants Pur. Wir haben mit Karl über den Mut und Tatendrang des Paares, gerade jetzt in Zeiten des Umbruchs und Wegbröckelns der „Normalität“ gesprochen, sowie über ihre Liebe zu lokalen und guten Lebensmitteln. Und natürlich auch über die Chuzpe, die es braucht, um mit über 50 ein Restaurant zu eröffnen.

 

Andere Menschen träumen davon auf Kreuzfahrtschiffen die Welt zu bereisen, wenn sie in Rente sind. Ihr habt euch dazu entschlossen, im Alter von 52 und 51 Jahren ein Restaurant zu übernehmen. Wie kam es dazu?

Ich bin in der Gastronomie aufgewachsen, denn meine Eltern hatten ein Hotel mit Restaurant und Café. Ich bin mein Leben lang schon in der Gastronomie tätig und habe an der Fachhochschule in München meinen Diplom Betriebswirt für Hotel- und Restaurantmanager absolviert. Dann war ich zehn Jahre bei Mövenpick als Manager tätig und habe im Anschluss mit ein paar Kollegen aus dieser Zeit eine Beratungs- und Schulungsfirma ins Leben gerufen.

Meine Frau und ich haben schon während der Studienzeit davon geträumt, ein eigenes Restaurant aufzumachen und unsere beiden Talente, das Kochen und ihre Floristik, zusammen zu bringen. Wir haben damals Konzepte entwickelt und einiges davon haben wir dann im Pur verwirklicht. Wir sind damit neu durchgestartet.

 

Wer ist bei euch für welche Tätigkeiten zuständig?

Meine Frau zeichnet sich für den Laden, den Service, die Dekoration und die Gästebetreuung verantwortlich und ich für die Küche, den Einkauf und das Kaufmännische.

 

Ihr führt eine Partnerschaft im doppelten Sinne. Wie gelingt es, sich bei so viel Nähe nicht auf die Nerven zu gehen?

Das funktioniert nicht jeden Tag. Natürlich gibt es zwischendurch Konflikte. Aber wenn wir mal in Rente gehen, stellen wir auf jeden Fall nicht überrascht fest, dass da noch jemand anderen gibt (lacht). Die meiste Zeit bekommen wir das zum Glück gut hin.

 

Was macht ihr, wenn es mal schwierig wird?

Dann muss man darüber reden.

 

Im Winter 2010/2011 wären wir fast hopsgegangen. Zum Glück haben uns Freunde, Bekannte und Gäste übern Berg geholfen.

 

Gab es einen Moment, in dem ihr eure Entscheidung, ein Restaurant zu führen bereut oder angezweifelt habt?

2005 ein gehobenes Restaurant mit Delikatessen-Shop ein einem Ort wie Lütjenburg (Anm. d. Red.: eine Stadt in Schleswig-Holstein) zu eröffnen, natürlich nicht gerade ein einfaches Unterfangen. Ganz schwierig wurde es im Winter 2010/2011. Da fing es Weihnachten an zu schneien und hörte Ostern erst wieder auf. Hier oben gab es irre viele Schneeverwehungen. Deshalb kamen abends fast keine Gäste mehr. In der Zeit wären wir fast hops gegangen. Zum Glück haben uns Familien, Freunde, Bekannte und Gäste übern Berg geholfen. Das war kritisch. Auf der anderen Seite, sind genau das die Momente, in denen etwas Neues entsteht. Im Jahr davor hatten uns nämlich immer wieder Gäste gefragt, ob sie die leckeren Salat-Dressings nicht mit in ihre Ferienwohnung nehmen könnten. In dem Winter hatten wir viel Zeit und haben uns gesagt, wir könnten doch mal ausprobieren, Dressings in Flaschen abzufüllen. Das entwickelte sich sehr gut. Und so kamen die Fruchtaufstriche und Tomatenwürz-Sauce dazu. Der Verkauf der eigenen Produkte lief super. Dass wir bereits seit 2010 eigene Produkte vertreiben, half natürlich jetzt, zu Beginn der Coronakrise, bei den neuen Überlegungen ganz gewaltig.

 

Wie viele Stunden arbeitet ihr im Schnitt in der Woche?

Im Moment 72 Stunden in der Woche. Wenn von 12 bis 20 Uhr geöffnet ist, dann hat man natürlich von 11 bis 21 Uhr zu tun, im Sommer manchmal auch länger. Und am „Ruhetag“ warten das Büro, der Einkauf, Diskussionen.

 

Wow, wie schafft ihr das bloß?

Das ist eine gute Frage (lacht). Manches geht heute, nach 15 Jahren, natürlich nicht mehr so einfach wie damals. Wir treten ja auch schon kürzer und bieten beispielsweise kein Frühstück mehr an.

 

Wer unterstützt euch?

Wir haben unseren Koch als Festangestellten, zwei Teilzeit-Servicekräfte und einen Azubi im ersten Lehrjahr. Unsere Aushilfen haben wir zu Beginn der Corona-Krise leider kündigen müssen.

 

Die Grundlage allen Wirtschaftens ist die Angst davor, morgen Hunger zu haben. Also die Angst davor, morgen nicht mehr das zu haben, was man heute hat.

 

Was treibt euch an?

Gutes Essen und Trinken macht einfach Spaß. Meine Frau und ich haben dieses Jahr von Hahari Eine kurze Geschichte der Menschheit gelesen und in dem Buch wird beschrieben, dass Essen und Trinken die älteste Kultur der Menschheit ist. Ein Professor hat während meiner Ausbildung mal zu uns gesagt: Die Grundlage allen Wirtschaftens ist die Angst davor, morgen Hunger zu haben. Also morgen Angst davor zu haben, nicht mehr das zu besitzen, was man heute hat. Da ist mir noch mal schlagartig bewusst geworden, welche Rolle Gastronomie, regionale Erzeuger*innen und Bauern eigentlich haben und dass wir da vollkommen richtig liegen mit unserem Konzept. Denn Lebensmittel sind ja Mittel zum Leben und die moderne Forschung entdeckt: Das Hirn ist, was es isst.

 

Wie wichtig sind dir die Verwendung guter Zutaten und die Förderung regionaler Betriebe?

Schon als Student habe ich einen Salatkopf lieber auf dem Münchner Viktualienmarkt als im Supermarkt gekauft. Der Salat vom Markt ist zwar teurer, aber vom äußersten bis zum innersten Blatt konnten wir alles essen. Und im Supermarkt mussten wir die äußeren Blätter entfernen und haben so am Ende für den Salat im Supermarkt das gleiche Geld hinlegen müssen, allerdings mit viel weniger Genuss. So eine Atmosphäre wie auf dem Markt wollten wir in einem Restaurant kreieren. Wir haben schon damals rumgesponnen, dass sich ein Restaurant mit regionalen, saisonalen Produkten eigentlich den Jahreszeiten anpassen müsste. Das haben wir im Pur verwirklicht: A die guten, saisonalen und regionalen Grundprodukte und B die Deko. Wir streichen Teile der Wände zweimal im Jahr um – im Winter rot, im Sommer grün. Ganz bewusst. Im Winter ist einfach eine andere Atmosphäre als im Sommer.

 

Was sind die wichtigsten Bestandteile einer genüsslichen Mahlzeit?

Gute Grundprodukte und eine ehrliche Zubereitung, ohne viel Schnickschnack.

 

Entweder, ich mache weiter mit der Gier oder aber ich besinne mich auf das Solidarische, was viel wichtiger und schöner ist.

 

Was habt ihr über euch und das Leben gelernt, seit ihr ein Restaurant führt?

Ganz viel. Wo fange ich da an? Damals, als meine Frau und ich nach München gegangen sind, sind wir beide zum ersten Mal auf die Bücher von Erich Fromm gestoßen. Haben und Sein von Erich Fromm war der Startschuss für eine ganze Menge Bücher. Er hat schon damals das skizziert, was heute hochaktuell ist: Entweder, ich mache weiter mit der Gier und will immer mehr von allem oder aber ich besinne mich auf das Solidarische und das gemeinsame Erleben, was viel wichtiger und schöner ist. Dann kam Der kleine Prinz hinzu, was ich immer noch für eines der wesentlichen Bücher überhaupt halte. Da wir uns mit immer mehr mit der Bedeutung von Essen und Trinken vertraut machen, denken wir ständig darüber nach, wie man Dinge noch anders, besser und regionaler machen und ein vernünftiges Grundprodukt zu einem guten Preis liefern kann. 

 

 

 

Welcher Aspekt eurer Arbeit erfüllt dich am meisten?

Menschen und Produkte. Ein gutes Essen zuzubereiten, zufriedene Gesichter zu sehen und Menschen, die sich am Ende des Abends bei einem bedanken. Was will man mehr?

 

Wer ist eigentlich für eure Webseite verantwortlich, die aussieht, als hätte eine renommierte Werbeagentur sie programmiert?

Die hat unser Sohn gemacht. Er hat auch mal Koch gelernt. Später hat er an der Alsterdamm Kunstschule in Hamburg Grafikdesign gelernt und anschließend ein Studium an der Code University in Berlin angefangen. Mittlerweile hat er ein Jahr lang viel Energie, Zeit und Geld investiert, um gemeinsam mit seiner Freundin, die er an der Code University kennengelernt hat, das eigene Unternehmen The Puzzlers zu gründen. Damit wollen sie Webseiten zu einem Monats-Abonnement für Selbstständige und kleine Unternehmen programmieren und anbieten. Er hat die Webseite gestaltet und die beiden haben uns in der Corona-Krise auch mächtig angetrieben, um quer zu denken. Wir waren sehr dankbar, dass sie aufgrund der Krise bei uns gestrandet sind, davor waren sie die ganze Zeit auf Bali. Jetzt sind wir im intensiven Austausch.

 

Wir wurden eigentlich immer dann gut, wenn es kritisch wurde. Denn dann muss man denken.

 

Auf eurer Webseite steht „Nun ist wirklich nicht die Zeit Trübsal zu blasen, denn schließlich sind wir nach wie vor gesund und voller Tatendrang.“ Und dass, obwohl ihr beide selbst zu Risikogruppe zählt. Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, habt ihr euch entschieden, noch regionaler, kreativer und digitaler zu werden. Woher nehmt ihr euren Optimismus und Schaffensdrang?

Trübsal lag uns noch nie. Wir sind beide in Familien groß geworden, wo es das nicht gab – also, den Kopf in den Sand stecken. Margots Eltern hatten sechs Kinder und eine Gärtnerei, das war nicht immer einfach. Meine Eltern hatten fünf Kinder und den Hotelbetrieb, wo wir schon als Kinder mitgeholfen haben. Wir wurden eigentlich immer dann gut, wenn es kritisch wurde. Denn dann muss man denken. Schönwetterkapitän zu sein, wenn alles läuft, das ist einfach. Wenn es kritisch wird, ist ein Kopf gefragt, der mitdenkt. Und das ist der Punkt, an dem es Spaß macht, denn dann verlässt man den gewohnten Pfad, den Trott. Den mussten wir schon öfter verlassen und das war immer gut so.

 

 

Apropos neue Wege: Ihr arbeitet eng mit regionalen Partnern zusammen und habt auf Startnext eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Dort bietet ihr kulinarische Care Pakete an.

Die Idee einer Crowdfunding-Aktion hatten wir schon seit Jahren, dank Corona wurde jetzt etwas daraus. Wir fanden die Pakete eine schöne Alternative zu den Gutscheinen, die viele Restaurants angeboten haben. Da hat der Kunde direkt was in der Hand, wir haben Geld eingenommen und unsere Partner aus der Region haben auch davon profitiert. Das lief super. Wir haben insgesamt über 140 Pakete verschickt.

 

Eure Losung lautet kreativer Aktionismus: Ihr verkauft beispielsweise leckere Gerichte außer Haus im Glas – mit Köstlichkeiten wie Bœuf Bourguignon oder Coq au Vin

Bei einem reduzierten Platzangebot von 50 % in allen Restaurants haben wir uns überlegt, dass wir unsere Klassiker, die wir schon immer auf der Karte hatten, einfach einzumachen. Das ist zum Glück super gut angenommen worden. Dazu verkaufen wir Suppen, Salate, Flammkuchen außer Haus. Außerdem haben wir unser Angebot im Laden erweitert:, Bier, Biokaffee und Bio-Brot kommen jetzt aus der Region. Wir sind also noch regionaler geworden. Es ist irre, welch spannende Kooperationen dadurch entstehen. Mit dem Loppo-Kaffee, der Bakelit-Bäckerei und Lille-Brauerei aus Kiel, haben wir neue Partner gefunden, die offen sind für Neues. Wir haben auch alte Lieferanten wieder aktiviert, wie unseren Bio-Käselieferanten Hof Berg aus Dannau. Das macht richtig Spaß, denn man kennt die Leute und weiß, was für eine Mühe sie sich machen. Wir sind gespannt, was daraus noch wird. Wir sind da sehr optimistisch, dass aus den Partnerschaften noch ganz andere Sachen erwachsen werden.

 

Wie gehen eigentlich eure Gäste mit dem Thema Corona um?

Viele Gäste gehen positiv mit dem Thema Corona um, manche sind in Verschwörungstheorien verschwunden. Da haben wir die ganze Bandbreite der Bevölkerung.

Drinnen in unserem Bistro zu essen, da sind viele Gäste noch zurückhaltend, draußen in unserem Gartenlokal ist es natürlich einfacher.

 

Wir sind beide in Familien groß geworden, wo die Alten in der Familie blieben und bis zum Schluss eine Aufgabe hatten.

 

Was würdet ihr machen, wenn ihr kein Restaurant führen würdet?

Keine Ahnung. Eins werden wir auf jeden Fall nicht machen: Kreuzfahrten. Ich denke mal, wir werden etwas machen, das einen gewissen Sinn ergibt. Wo man noch Kontakt zu Menschen und eine gewisse Aufgabe hat. Wir sind beide in Familien groß geworden, wo die Alten in der Familie blieben und bis zum Schluss eine Aufgabe hatten.

 

Welches Buch (oder welche Bücher) kannst du unseren Leser*innen gerne empfehlen?

Ich habe letztes Jahr das Kochbuch Abrahams Küche von David Haliva geschenkt bekommen – mit Rezepten aus der israelisch, palästinensischen Küche. Super leckere Rezepte mit spannendem Hintergrundwissen zu den Regionen. Die haben wir schon vor Corona ausprobiert – israelischer Rotkohl mit Granatapfeldressing kam richtig gut bei unseren Gästen an. Als Buch lese ich gerade Selbst denken – eine Anleitung zum Widerstand von Harald Welzer. Darin werden alte Denkmuster konsequent hinterfragt und Wege in eine post-kapitalistische Gesellschaft aufgezeigt. Mir wurde schnell klar, wie viele Denkmuster in uns stecken, die im Alltag einfach nicht hinterfragt werden. Sehr spannend.

 

LINKS:

Einfachpurgeniessen Webseite

Startnext.com

 

Interview: Lesley Sevriens

Fotos: Mandus Pe

Ein Kommentar

  • Harald Werner Antworten

    Hallo lieber Karl Hutter! Habe von Josef Dohmen Deine Adresse bekommen! Wie wohnen in Hamburg und tauchen bestimmt bald mal in Eurem Restaurant auf! Viele Grüße aus Hamburg! Harry Werner

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