Rummelplatz

Schon der Titel des Buches ist grandios: Rummelplatz. Da denkt man an Zuckerwatte, Karussell, Alkohol, das einfache Leben, einfache Leute, das Salz der Erde, um ganz unsozialistisch mit der Bibel zu sprechen. Und wirklich ist dieser Roman prall gefüllt mit Leben, Geschichten, Schicksalen, kuriosen Gestalten und einer Sprache, die gleichzeitig kristallklar und poetisch ist. Im Zentrum des Romans stehen die Anfangsjahre der DDR, die im Mikrokosmos der Wismut Bergwerke, Uranminen unter russischer Verwaltung, aus denen ein Gutteil des Urans für das russische Atombombenprogramm stammte, spielen, wo zwischenzeitlich bis zu 200.000 Menschen beschäftigt waren. Die Leserinnen und Leser lernen vom Krieg Heimkehrende, Verzweifelte, Idealisten, Idealistinnen und Wagehälse kennen, die unter Tage unter teils schlimmen, immer harten Bedingungen schuften. Da sind Leute wie Bierjesus und Hänschenklein, Fischer und russische Schachtleiter, da gibt es Intrigen, Materialmangel, da wird gesoffen, gefeiert und an politischen Versammlungen teilgenommen. Bräunig, der selbst für einige Zeit in den Minen gearbeitet hat, bevor er Schriftsteller wurde, beschreibt das alles unverblümt mit einem geradezu brutalen Realismus, wo es keine „guten Parteisoldaten“ und keine schlechten Kapitalisten oder Kapitalistinnen gibt. 

Editionsgeschichte und Skandal um „Rummelplatz“

Die siebenhundert Seiten des vorliegenden, unvollendeten Romans enden mit dem Aufstand der Arbeiterschaft 1953, an denen sich die Bergleute der Uranminen allerdings nicht sonderlich beteiligen, wohl auch wegen der russischen Streitkräfte und Machthabenden, die in diesem „Staat im Staate“ das Sagen haben. Der zweite, wohl außer einigen Notizen nie geschriebene Teil hätte die weitere Entwicklung bis 1959 beschreiben sollen. Die Kontroverse um das im Vorabdruck in der Zeitschrift ndl (Neue deutsche Literatur) erschienene vierte, Rummelplatz titulierte Kapitel verhinderte aber die Publikation des Buches und Bräunig geriet trotz seiner Mitgliedschaft in der SED und als überzeugter „Genosse“ in das Fadenkreuz der Neuausrichtung der Kulturpolitik. Eine Schande, denn nicht nur brach dies in gewisser Weise wohl den Menschen Bräunig, es wurde auch ein großartiger Roman verhindert, der wie wohl kaum ein anderes literarisches Werk ein Sittenbild und ein gesellschaftliches Panorama der frühen DDR zeichnet. Dankbarer Weise hat sich der Aufbau Verlag dieses vergessenen Meisterwerkes angenommen und ihn 2007, mehr als vierzig Jahre nach seinem Entstehen, publiziert. Wer einen der ganz großen deutschen Nachkriegsromane lesen will, ist bei Rummelplatz genau richtig, aber auch jenseits aller zeithistorischen Bedeutung ist Rummelplatz ein echtes literarisches Fest und Bräunig eine echte Entdeckung.

Die Handlung von Werner Bräunigs unvollendetem Hauptwerk “Rummelplatz”

Das Buch folgt dem jungen Hermann Fischer auf der Suche nach sich selbst und seiner Rolle im entstehenden neuen Staat DDR. Rummelplatz verbindet dabei Aspekte des klassischen Bildungsromans mit jenen des Gesellschaftsromans und wagt sich an einen absolut ungeschminkten, ja manchmal gar schmerzhaften Realismus. Diese Weigerung zu beschönigen und zu bemänteln ist es wohl auch die, die, neben dem schon angesprochenen Hauptort der Handlung, dieses Werk für die politischen Stellen so problematisch erschienen ließ. In der ungeschminkten Darstellung der Licht- und Schattenseiten im Kosmos der Uranminen gelingt Bräunig andererseits, woran die Literatur in der DDR sonst zumeist scheitern musste: Ein Gesellschafts- und Sittenbild in all seiner Diversität, wie es in einem Staat, lässt man einmal die Utopie kurz beiseite, ganz einfach immer besteht.

Werner Bräunigs Rummelplatz: ein Meisterwerk

Was für ein Roman! Ein echtes literarisches Meisterstück, das Bräunig – und vielleicht auch der gesamten DDR Literatur – Ruhm und Möglichkeiten eröffnet hätte. Die unsägliche Verhinderung der Publikation hingegen bleibt aus heutiger Sicht relativ unverständlich. Ein Arbeiterschriftsteller und überzeugter Kommunist und ein hervorragender Literat – man fragt sich schon, was es damals gebraucht hätte, einen ehrlichen, lebensvollen Roman bis zur Publikation zu bringen. Immerhin ist dieses tolle Buch nicht verloren gegangen und man kann wirklich nur jedem raten, sich diesen unvollendeten Roman zu Gemüte zu führen. Nicht nur wird man interessante Menschen und Schicksale treffen, die manchmal nur mit wenigen Worten scharf und treffend gezeichnet werden, gerade die Jüngeren erhalten auch einen faszinierenden Einblick in die Anfangszeit dieses seltsamen, untergegangenen Landes namens DDR, das sie sonst vielleicht nur noch aus Erzählungen ihrer Verwandten kennen.

Bräunigs Stil und die Lebendigkeit der Sprache

Bräunigs wortgewaltiger Stil, das einfließen lassen von Dialekten und der „einfachen“ Sprache der Arbeiterschaft, machen dieses Buch zudem auch stilistisch zu einer interessanten Form des Realismus, der hier eher radikal denn sozialistisch ist und, wenn auch nicht so sehr vom Stil selbst her, von der Idee an Zola und die französischen Realisten und Realistinnen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts anschließen. Während bei diesen aber die „soziale Frage“, wie man das damals nannte, eher pädagogisch angegangen wurde, wird hier mit Herz und Leber direkt aus dem Arbeitermilieu heraus geschrieben, was dem Roman eine ungewöhnliche Direktheit und Echtheit verleiht. Man nimmt Bräunig seine Personen, seine Orte, die Handlung und die Konflikte – die äußeren wie die inneren – ganz einfach ab. Hier zeigt sich der große Vorteil, wenn Literaturschaffende aus eigener Erfahrung schöpfen können. Nicht, dass dies immer oder unbedingt nötig wäre. In diesem Fall, dieser Schilderung des Bergarbeitermilieus ist sie wirklich eine echte Stärke.

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