Ende Gut

Am Ende alles gut? Sibylle Bergs Roman (Foto: Wikipedia)

Ende gut – alles gut. So geht das Sprichwort. Gut ist aber wirklich erst einmal gar nichts in Sibylle Bergs Roman mit dem treffenden Titel Ende gut, der bei Kiepenheuer & Witsch 2004 veröffentlicht wurde. Der Anfang, der Mittelteil und selbst das Ende, bis auf das allerallerletzte Ende, sind eine Art Höllenfahrt durch eine dystopische Endzeitwelt, die vor dem Untergang steht und die aussieht, wie Deutschland eben in den 200ern ausgesehen hat und zu einem Gutteil immer noch aussieht: triste 70er Jahre Fußgängerpassagen, Ghettos (von Ausländern, Ärzten und Bürgern, einfachen Arbeitern und Öko-Tussen… fast O-Ton Berg), Bausünden aus den 50ern und hippen Cafés in aufgelassenen ehemaligen Fabrikgebäuden, in denen sich „Leute die was mit Medien machen“ oder sonstige Möchtegern-junggeblieben um die 40 so richtig einen hinter die Birne kippen, während das Girokonto immer weiter ins Minus rutscht. Was die beschriebene Welt angeht ist also fast alles beim Alten geblieben, soll ja auch in der Zukunft spielen, nur die Naturkatastrophen und Überflutungen und das drohende Ende der Welt, das ist dann doch bis heute ausgeblieben, auch wenn kaum jemand mit seinem Pinot Grigio von der Ikea-Wohnzimmer Garnitur kippen würde, wäre es dann mal so weit. Irgendwie wartet man ja fast darauf mit all dem Trumpismus, Klimawandel, kleinen Öko-Medien-Helden á la Thunberg, Fukushima und irren Fanatikern aller Art (von AFD bis ISIS). Am Ende wird aber alles gut. Zumindest im Buch. Zumindest ein bisschen. Zumindest Hoffnung. Oder sowas ähnliches. Das kann man Berg natürlich vorwerfen: das nicht durchzuziehen. Haben auch der eine oder andere getan, am Ende scheiden sich die Geister aber sicher mehr bei der Sprache – dazu gleich noch mehr – und dem Inhalt, diesem aufbrechen und auskotzen über diese Welt, in der wir leben. Das gefällt nicht allen und die meisten kriegen obendrein noch ziemlich bitter und böse ihren Dreck weg. Gut so. man selber, als Leser fühlt sich da ja meistens immerhin nicht so ganz angesprochen. Sollte man vielleicht. Aber das ist wieder was anderes.

Bevor das Ende gut wird muss alles noch viel schlimmer werden oder vom Regen in die Traufe und ab nach Finnland – der Handlungsablauf von Sybille Bergs Roman Ende gut

Die namenlose Ich-Erzählerin, aus deren Perspektive und „Info-Haufen“ der Roman in weiten Teilen erzählt wird, ist so um die 40, schlittert von Arbeitsstelle zu Arbeitsstelle und von Bett zu Bett und wohnt zu Anfang in einer typisch deutschen kleinen Stadt. Genaueres wissen wir nicht, brauchen wir auch nicht, die „kleine Stadt“ steht natürlich als Chiffre für deutsche Kleinstädte. Die Protagonistin selbst kann man entweder als illusionslos und verbittert oder aber als hellsichtig und grundvernünftig und gerade deshalb eben mal so „funktionierend“ und am Spiel des Lebens teilnehmend beschreiben. Über die Dauer wird es immer mehr zur zweiten Perspektive, trotzdem: diese Frau kotzt sich aus. Über die Gesellschaft, die Männer, die den Frauen zugedachten und zugeschriebenen Rollen, die Architektur, den zwischenmenschlichen Umgang und so ziemlich alles andere auch. Währenddessen geht die Welt unter, oder, besser, taumelt in einen apokalyptischen Malstrom aus Naturkatastrophen, Kriegen, Terror und Neoliberalismus. Zwischen die in kurzen Kapiteln sich langsam entrollenden und von den inneren Tobsuchtsanfällen der Ich-Erzählerin unterbrochenen Handlung (die man an sich auch weitestgehend ignorieren könnte) werden immer wieder O-Töne eingeschoben, kurze, wie mündlich dargelegte kleine Miniaturen aus den Mündern derer, über die die Ich-Erzählerin sich aufregt. Mannis, Uschis, Alis, Kinderschänder, Medientussen und so weiter und so fort. Ein imaginierter aber eindringlich-gruseliger Blick hinter die angestaubten Blumengardinen des Bewusstseins der Deutschen und ein stilistischer Kunstgriff, ähnlich wie die Info-Haufen, mit denen ein tieferer, eindringlicherer Kontext gegeben wird. Natürlich nehmen die Katastrophen dann immer weiter zu. Natürlich verliert die Ich-Erzählerin auch ihren nächsten Job und verlässt ihre letzte Fickbekanntschaft, bricht schließlich auf, kurz bevor es hart auf hart auf irgendein Ende zugeht, auf einen Untergang der Welt oder was auch immer und fährt, trampt, schwindelt und Bekanntschaften schließt, immer weiter, bis auf eine kleine Insel irgendwo vor Finnland, zuletzt sogar nicht mehr allein, sondern in Gesellschaft eines „stummen Mannes“. Und dann wird das Ende eben doch irgendwie gut. Auch wenn die Welt untergeht – oder so. Wieso und warum kann man sich vielleicht denken, wird hier aber jetzt nicht verraten.

Info-Haufen, O-Töne und innerer Monolog – Stilmittel und Bedeutungsebenen

Ende gut wird von Sybille Berg in Textschnippselchen dargereicht. In 48 kurzen Kapiteln mit langen, den Inhalt voraus nehmenden Überschriften wechseln sich eine Art innerer Monolog der Protagonistin mit eingeschobenen Textstücken der Info-Haufen, halb dokumentarischen Fakten, und O-Tönen, erklärenden oder Einblick gewährenden, wie gesprochenen Einlässen Dritter, miteinander ab. So entsteht eine Textfläche, die trotz ihres Anspruches durch das Wechseln zwischen den Formen angenehm abwechslungsreich und nicht zu ermüdend zu lesen ist. Dabei hilft natürlich auch Bergs Erfahrung in der Dramatik und ihre Befähigung zu bissigem Sarkasmus, bitter-bösem Zynismus und die selbst in den freundlicheren Momenten immer durchscheinende Ironie. Man grient und grinst und lacht hier nicht selten über tieftraurige Dinge. Insgesamt steht man vor einem polyphonen Konzert, dessen Hauptstimme oder Leitmotiv (die Protagonistin) von Chor (O-Töne) und Nebenmotiven (Info-Haufen) gebrochen werden. Eine weitere, über die Konstruktion des Textes hinausgehende Funktion der drei verschiedenen Textformen ist die Herstellung von Kontext und einer Art polyperspektivischem Korrektiv zu den Auslassungen der Ich-Erzählerin. Aber keine Angst: diese Korrektive relativieren nichts, sie machen das meiste nur noch viel schlimmer.

Einordnung und Fazit zu Sybille Bergs Roman Ende gut

Sybille Berg, das muss hier noch einmal deutlich gesagt werden, ist einfacher zu lesen, als das vielleicht nach dieser Besprechung hier den Eindruck macht. Die kunstvolle Konstruktion des Textes und die sich aufeinander beziehenden Bedeutungsebenen, die in diesen zum Ausdruck kommen sind gut verständlich, die Sätze meist kurz und prägnant, die Beschreibungen (wenn auch sicher nicht immer fair) wie die Faust in die Fresse. Das Buch ist ebenso Pop wie Literatur, ist Kritik wie – Ende gut eben – romantischer Hoffnungsschimmer in einer als verloren geglaubten, angesehenen Welt. Ob man Frau Berg mit der Ich-Erzählerin gleichsetzen kann, wie man dies sicher versucht ist zu tun, ist ehrlich gesagt nicht wirklich wichtig. Entscheidender erscheint schon der Gegenpol zur immer weiter um sich greifenden Spannungs- und Wohlfüllliteratur mit ihrem starken Bezug zu Familiengeschichten, der diese Form des Erzählens bietet. Fast alle Romane von Sybille Berg sind Romane, die man aushalten muss, in denen man sich selber hier und da vielleicht sogar in der eigenen Unzulänglichkeit wiedererkennt. Das kann schmerzhaft sein. Gut so. Literatur darf das, muss das und kann das. Also ran an das Buch – ist ein echter kleiner Rohdiamant der zeitgenössischen deutschen Literatur.

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