Beton

Der 1982 im Suhrkamp Verlag erschienene Roman „Beton“ ist sozusagen Thomas Bernhard in Reinform. Ein kauziger Geistesmensch, Rudolf, der auch nicht wenige Züge des Autors selbst trägt, versucht seit zehn Jahren eine wissenschaftliche Arbeit über seinen Lieblingskomponisten Mendelssohn-Bartholdy zu schreiben. Er schafft es aber nicht, auch nur einen Satz zu Papier zu bringen, stattdessen hält er sich und anderen in einem 130 seitigen Monolog seine Unfähigkeit vor. Der absolut atemlose, zwischen Gedankengängen, Motiven und Themen hin und her springende und sich mitunter fiebrig erhitzende Monolog kommt dabei ohne einen einzigen Absatz aus und bildet damit in Analogie zum Titel eine Textvariation der Materialität Beton. Dieser, also Beton, spielt aber auch am für bernhardsche Verhältnisse geradezu handlungsreichen Ende des Buches auch noch einmal eine ganz besondere, tragische Rolle. Trotz dieser Tragik hat das Ende, im Gegensatz zu anderen Werken des Autors, geradezu etwas hoffnungsvolles. Natürlich kommt auch sonst alles vor, was man von Bernhard erwartet: feinsinnige Ironie und Selbstironie, Angriffe gegen Ärzte, Kirche und Österreich, sowie Erregung und Übersteigerung. Naturgemäß (übrigens eines der Lieblingswörter des Autors) nimmt sich Bernhard dabei auch selbst auf die Schippe, zum Beispiel wenn er recht deutlich gegen die Ruhmsucht und Eitelkeit der Schriftsteller*innen bzw. des Veröffentlichens von Schriften hetzt, woraufhin der Protagonist Rudolf hellsichtig feststellt, dass er zumindest die Arbeit über Mendelssohn-Bartholdy überhaupt erst einmal schreiben müsse, bevor dieses Problem dann aktuell würde.

Introspektion des Ich-Erzählers – klassisch Thomas Bernhard eben

Die eher spärliche Handlung ist schnell erzählt. Rudolf, der an Morbus Boeck erkrankte Ich-Erzähler, aus dessen subjektiver Sicht dieser Monolog der Leserschaft an die Hand gegeben wird, regt sich darüber auf, dass der Besuch seiner Schwester den Beginn des Schreibens an der Arbeit über Mendelssohn-Bartholdy verunmöglicht hat, worauf ihm aber nach einigen Tiraden einfällt, dass er sie selbst zu Hilfe gerufen hatte, weil er nicht mit der Arbeit beginnen konnte. Von da an mäandert der Gedankenstrom Rudolfs hin und her, es geht gegen Wien, gegen die Ärzteschaft, gegen alles eigentlich, bis er, Rudolf, sich dazu entschließt, eine Reise nach Palma zu unternehmen. Natürlich ist auch diese Reise nach Palma eine schreckliche Idee, wie er selber schnell feststellt, kann er doch aufgrund seiner Krankheit schon daheim kaum das Haus verlassen. Dann wird es, zumindest für Bernhard, direkt handlungsreich, indem die Geschichte eines Ehepaares in den Monolog eingewoben wird. Die Frau hatte der Ich-Erzähler Rudolf vor Jahren in Palma kennengelernt, der Mann hatte sich aus dem Fenster des Hotels auf den Beton der Straße zu Tode gestürzt, weil er mit der Rolle des Geschäftsmannes, in die ihn seine Frau getrieben hat, nicht zurechtkam. Rudolf, der sich dieser Begegnung mit der Frau entsinnt, geht nun sogar soweit, das Grab des Mannes auf dem Friedhof zu besuchen. Auch dieses ist aus Beton gefertigt und neben ihrem Mann ist jetzt auch die Frau bestattet, die ebenso wie dieser Selbstmord begangen hat. Daraufhin resümiert Rudolf: „Tatsächlich richtet wir uns an einem noch unglücklicheren Menschen sofort auf.“ Ebenso bitterböse wie wahr.

Der Bernhardsche Stil

„Beton“ ist Bernhard in Reinform, auch wenn sein Anrennen gegen Staat, Kirche, Institutionen und ärztliches Personal (Bernhard litt sein Leben lang an Lungenproblemen und verstarb auch an diesen) weniger ausgeprägt ist, als in anderen, früheren Werken. Der Stil des mäandernden und sich steigernden, übersteigernden, ewig abschweifenden Gedankenstroms in Form eines Monologes, der hier sogar ohne Absätze auskommt, ist ausgereift und stilistisch ein echtes Fest für Kenner*innen. Die oftmals verschachtelten und hochkomplex konstruierten Sätze, die auch schon mal auf Konstruktionen wie „sagte er, sagte ich“ oder „denkt er, denke ich“ zurückgreifen, die in die Wiedergabe der Ereignisse sogar noch eine weitere Ebene der Distanz einbauen, können aber auch abschrecken. Leider. Denn die Ironie und der Humor, das sich selbst auf die Schippe nehmen und die Tragik dieser Person Rudolf, die so viele Züge des Autors selbst trägt, sind nicht nur urkomisch, sondern zeigen auch – in ziemlich übersteigerter Form allerdings – die inneren Kämpfe jedes „Geistesarbeiters“ und jeder „Geistesarbeiterin“, sei es nun eine Person der Geisteswissenschaft, Literaturschaffende oder was auch immer.

Bernhards Beton: ein Fazit

Als Einstieg in das Werk Bernhards mag dieser nachgerade monolithische Text nicht der Beste sein. Das ebenso von uns besprochene „Watten“ ist aufgrund seiner Kürze in dieser Hinsicht vielleicht eher geeignet. Dafür sind der Humor und die Ironie in „Beton“ besonders ausgeprägt, während die gerade für nicht aus Österreich stammende Personen manchmal schwer verständlichen Tiraden gegen Bernhards Heimatland eher im Hintergrund stehen. Abschließend kann man eindeutig sagen, dass dieser Roman ein absolut lesenswertes Buch ist, das wirklich uneingeschränkt zu empfehlen ist. Allein Leserinnen und Leser, die viel Wert auf Handlung, Spannung und eine richtige „Story“ legen, werden hier nicht wirklich auf ihre Kosten kommen, denn darum geht es Bernhard nicht. Diese Aspekte der Literatur sind bei ihm meistens auf das notwendige Minimum beschränkt.

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