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Fjodor Dostojewski

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Der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski (geb. 1821 in Moskau, gest. 1881 in St. Petersburg) ist ein echter Titan der Weltliteratur und bis heute nicht nur einer der bedeutendsten und einflussreichsten russischen Schriftsteller*innen, sondern ein weltweit nach wie vor höchst einflussreicher Literat, auf den sich immer wieder ganze Myriaden von Literaturschaffenden als Inspiration oder Vorbild berufen. Literaturgeschichtlich gehört Dostojewski zu den Mitbegründer*innen des modernen Romans, in denen der „Held“ durch Durchschnittsmenschen abgelöst wird und sich das Geschehen, das Erzählte von einer strikten Chronologie endgültig löst und sich in den Bewusstseinsraum der auftretenden Personen verschiebt. Wikipedia

Steckbrief von Dostojewski

  • Daten: 11. November 1821 bis 09. Februar 1881
  • Geburtsort: Moskau
  • Sprache(n): Russisch
  • Hauptwerke o. Reihen: Die sechs großen Romane (Schuld & Sühne, Der Spieler, Der Idiot, Die Dämonen, Der Jüngling, Die Brüder Karamasow)
  • Rezensierte Bücher: Der Idiot, Aufzeichnungen aus dem Kellerloch
  • Genres: Gesellschaftsromane
  • Webseite: Autorenseite Suhrkamp
  • Adaptierte Filme/Serien (Auswahl): Hakuchi (Film, Akira Kurosawa, Japan 1951), mehrere Filme & Dokumentationen rund um Dostojewskis Leben und Schaffen
  • Lesestoff: für alle, die große Literatur und feine psychologische Figurenzeichnungen lieben

Dostojewski, der große Psychologe der Weltliteratur

Dostojewski gilt zurecht als einer der großen Psycholog*innen der Literaturgeschichte und seine Romane haben neben ihrer literarischen Bedeutung auch einen großen Einfluss auf andere Disziplinen und europäische Denkerinnen und Denker wie Sigmund Freud (Psychoanalyse), Friedrich Nietzsche (Philosophie) und Karl Barth (Theologie) ausgeübt. Die Romane Dostojewskis lassen sich dabei fast alle auf höchst unterschiedliche Weise lesen und haben neben der erzählten Oberfläche häufig gleich mehrere Meta-Ebenen. Besonders interessant ist dabei die von Dostojewski so virtuos beherrschte Überzeichnung seiner Charaktere und der Aufbau von Spannungsbögen, wobei er sich auch durchaus an Elementen des Kriminalromans (damals: Sensationsroman) bedient und diesen wohl sogar noch neue Herangehensweisen hinzugefügt haben dürfte. Beides macht Dostojewskis Romane auch für heutige Leserinnen und Leser, die sich vielleicht ansonsten mit der Sprache oder dem Schreckgespenst der „ernsten“ Literatur eher schwer tun, absolut lesbar. Die Doppelbödigkeit und Zugänglichkeit bei gleichzeitiger Komplexität, wenn man in die analytische Tiefe geht, wird wohl auch mit daran liegen, dass er, anders als viele andere russische Literaturschaffende seiner Generation, tatsächlich von den Einnahmen aus seinen Büchern leben musste.

Dostojewskis Weg zum Schriftsteller und erster Erfolg

Fjodor M. Dostojewski war das zweite von acht Kindern, von denen sieben das Erwachsenenalter erreichten. Die Familie Dostojewski war wohlhabend, aber nicht reich, der Vater Arzt mit großen Ambitionen für seine Kinder, die Mutter wiederum entstammte einer Moskauer Händlerfamilie. Nach Besuch einer französischen Schule und eines bekannten Internats schrieb sich Dostojewski schließlich an der renommierten Militärisch Ingenieurtechnischen Universität in St. Petersburg ein und begann sein Studium als Militäringenieur. Daneben besuchte er auch Vorlesungen zu russischer und französischer Literatur. Aus seiner Studienzeit stammt auch die Bekanntschaft mit Eduard Iwanowitsch Totleben, der ihm später mehrmals als Fürsprecher zur Hilfe kam. Nach Beendigung seines Studiums 1843 und einem kurzen Zwischenspiel als Militärzeichner verließ er diese Position Ende 1844 wieder und begann sich seinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben zu verdienen. Hierbei half ihm die kleine Erbschaft, die er nach dem Tod seines Vaters gemacht hatte. Sein erstes Werk, der Briefroman „Arme Leute“, erschien 1846 und wurde von der russischen Kritik gefeiert, war es doch der erste russische Roman, der die Lebenswelt und die Gefühle der einfachen Leute mit viel Gefühl in ihrer ganzen Komplexität beschrieb.

Sozialismus und Inhaftierung – prägende Erlebnisse

Eine der wichtigen Begegnungen im Leben des jungen Dostojewski war die mit seinem Förderer Belinski, der dem atheistischen Sozialismus nahestand und Dostojewski mit den Ideen dieser neuen politischen Strömung bekannt machte. Neben der regen schriftstellerischen Tätigkeit und der Veröffentlichung von mehreren Werken in der liberalen Zeitschrift „Vaterländische Annalen“, wird Dostojewski nun auch politisch aktiv, wenn auch eher in der Form von Besuchen des politischen Kreises um Michael Petraschewski, denn als wirklich handelnder Akteur. Trotzdem wurde er mit anderen Teilnehmern an Petraschewskis Kreis im Frühjahr des Jahres 1849 verhaftet und in der Peter-und-Paul Festung inhaftiert. Wenig später wurden Dostojewski und ein gutes Dutzend weiterer Angeklagter zum Tode verurteilt. Die Exekution stellte sich aber als Scheinhinrichtung heraus und stattdessen wurden die Gefangenen zu vier Jahren Zwangsarbeit und anschließendem Militärdienst verdonnert. Erst 1857 – inzwischen verheiratet mit Marija Issajewa, die er während seines ab 1854 beginnenden Militärdienstes kennen lernte – erhielt Dostojewski seine Bürgerrechte zurück und begann wieder ernsthaft literarisch zu arbeiten. Den Ideen einer wie auch immer gearteten Revolution schwor Dostojewski durch die Erfahrung der Inhaftierung zwar ab, blieb aber ein Anhänger eines christlichen Sozialismus, was sich auch recht deutlich in vielen seiner berühmten Romane unterschwellig oder gar offensichtlich nachvollziehen lässt.

Der Spieler, Schuld & Sühne und die Brüder Karamasow – die großen Romane

Die sechs großen Romane, für die Dostojewski vor allem bekannt ist, entstehen alle in der Zeit nach 1864. Vorher ist neben der Tätigkeit als Journalist und Herausgeber von Zeitungen vor allem die Prosaarbeit „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ hervorzuheben, die in ihrer Direktheit und Haltung auch schon mal als Ouvertüre zum Existentialismus bezeichnet wird, einer philosophischen Denkschule, die erst knapp hundert Jahre und zwei Weltkriege später entstehen sollte. Den Auftakt der berühmten sechs Romane, die außer „Der Spieler“ alle zuerst als Episodenromane in Feuilletons verschiedener Zeitungen veröffentlicht wurden, macht „Schuld und Sühne“. Die anderen sind, in chronologischer Reihenfolge: Der Spieler, Der Idiot, Die Dämonen, Der Jüngling und schließlich die 1879 und 1880 herausgegebenen Brüder Karamasow. Wenig später stirbt Dostojewski, der schon sein ganzes Leben unter unregelmäßig auftretenden epileptischen Anfällen gelitten hatte, als angesehener Schriftsteller und Vizepräsident der Russischen Akademie der Wissenschaften auf dem Höhepunkt seines Ruhms an einer schweren Krankheit.

Dostojewskis Stil – ein weites Feld

Einen Giganten der Literatur wie Dostojewski stilistisch einzuordnen macht immer Kopfschmerzen – wie so viele andere herausragende Autorinnen und Autoren der Weltliteratur ist Dostojewski zuerst vor allem immer Dostojewski. Da ist etwas einzigartiges an diesem über Jahrzehnte verfeinerten Stil, der absurdes mit ernstem, naturalistisches mit der Introspektion seiner Personen derart gekonnt zusammenführt. Davon mal abgesehen sind vor allem die Einflüsse des Naturalismus spürbar, wie er in Frankreich kurz zuvor auch theoretisch proklamiert wurde. Diese Herangehensweise wird aber gemischt und angereichert mit der psychologischen Feinfühligkeit der Innenschau. Und dann ist da das Karnevaleske, der absurde Aspekt, der in Russland eine lange Tradition hat, man schaue sich Gogol an, Gontscharow oder Bulgakow, der dann eine, zwei Generationen später schreibt und trotz seiner Unangepasstheit sogar von Stalin geschätzt wird. Glaubt man zumindest, denn er hat ihn nicht hinrichten lassen oder ins Gulag geschickt.

Rezeption Dostojewskis

Noch interessanter als der Stil Dostojewskis ist aber vielleicht seine Rezeption. Schon zu Lebzeiten wurde er von vielen Schriftsteller*innen bewundert und ganz allgemein sind vor allem die westlichen Rezeptionen zu Dostojewski schon zu dessen Lebzeiten fast rundherum positiv. Später berufen sich nicht wenige der großen Literaturschaffenden des frühen 20. Jahrhunderts auf Dostojewski als ihr Vorbild, ihren Leitstern, als wichtige Inspiration. Auch für avantgardistische Strömungen wie den Surrealismus und den nach dem zweiten Weltkrieg entstehenden Existentialismus war Dostojewski von großer Bedeutung. In Russland, diesem wie es scheint seit jeher von seiner politischen Klasse geschundenen Land, hat die Dostojewski Rezeption anders als im „Westen“ ein stetes auf und ab hinter sich. Erst verurteilter politischer Gefangener, dann gefeierter Schriftsteller und Intellektueller, dann, Jahrzehnte nach seinem Tod, unter scharfem Beschuss durch die Bolschewik*innen, die bei Dostojewski zu viele reaktionäre (und ganz sicher religiöse) Elemente festzustellen meinten. Sogar der heute berühmte Literaturwissenschaftler und Dostojewski-Forscher Michail Bachtin, der Dostojewskis Prosa über den Umweg der Musik als ein polyphones sinfonisches Werk verschiedener Stimmen beschrieb, wurde wegen seines Werks „Probleme der Poetik bei Dostojewski“ eben mal ins Arbeitslager nach Kasachstan geschickt. Den absoluten Tiefpunkt stellt aber die Stalin-Ära und die mit dieser einhergehenden Kunst-Ideologie des sozialistischen Realismus dar, in welche Dostojewski beim besten Willen nicht passen wollte. Unter Crustchsow wurde Dostojewski dann ab 1955 wieder verlegt und fleißig gelesen und 1972 sogar eine kommentierte Ausgabe in Auftrag gegeben, die nach knapp zwanzig Jahren im Jahr 1990 fertig gestellt wurde. Heute, wo sich Russland wieder einmal gewandelt hat und nach Jahren des Turbokapitalismus zu einer Art proto-oligarchischen Pseudodemokratie verkommen ist, kann jeder mit Dostojewski natürlich machen was er will. Sind ja nur Bücher.