Familie in Zeiten von Corona

Fotos by: Jewgeni Roppel

 

Im April, mitten in der Corona-Hochphase, haben wir mit mit Eltern, Kindern und Alleinerziehenden über den Spagat gesprochen, den sie zwischen Homeoffice und Homeschooling zu bewältigen haben. Einblicke in den ganz normalen Wahnsinn eines Multitasking-Alltags.

 

 

Katja Böhlhoff, 47, Art Direktorin und Grafikdesignerin, Mutter der 12-jährigen Tochter Mieke

“Es gibt Tage, an denen ich gefühlt fünf Personen auf einmal bin: Mutter, Alleinerziehende, Hausfrau, Lehrerin und Grafikdesignerin.”

Gestern gab es einen Moment, an dem ich dachte ‚Ich krieg das jetzt alles nicht mehr hin.’ Aber ich glaube, in solchen Momenten muss man sich einfach sagen: ‚Hey, dann ist die Spüle halt voll mit dreckigem Geschirr und die Waschmaschine kann gerade nicht angestellt werden’. Da muss man unterscheiden zwischen ‚Was ist jetzt wichtig und was ist weniger wichtig’. Ich versuche gerade, weniger streng mit mir zu sein und nicht auch noch den Anspruch zu haben, dass die Wohnung tipptopp aussieht und dass die Staubflocken, die seit Tagen vor sich hin flusen, weggesaugt werden müssen. Stattdessen versuche ich meinen Job zu sowie meinen neuen Zweitjob als Lehrerin zu meistern und eine Grandwanderung zwischen Supergau und einem liebe- und respektvollen Miteinander zu finden. Von Miekes Lehrern fühle ich mich gerade leider ziemlich alleine gelassen. Viele Lehrer beantworten dringende Fragen einfach nicht und setzen voraus, dass Eltern und Kinder zu Hause zeitgleich an einem Rechner arbeiten können. Aber nachdem mich das zwei Tage lang sehr gestresst hat, habe ich mir vorgenommen, das Homeschooling zu nutzen, um Mieke verstärkt mit wichtigen Lebensthemen wie beispielsweise mit Ethik vertraut zu machen.“

 

 

 

Skadi Schmidt, 42, Büroleiterin und Socialmedia-Beauftragte und Minka, 4

„Die aktuelle Situation ist auf jeden Fall eine Herausforderung.”

Denn zum einen muss man all seinen Aufgaben nachkommen und zum anderen möchte das Kind bespaßt werden und versteht es natürlich nicht, wenn man mal kurz seine Ruhe braucht. Eigentlich bin ich um 15 Uhr mit meiner Arbeit fertig, da ich in Teilzeit angestellt bin. Jetzt muss ich oft bis 18 Uhr arbeiten, weil ich zwischendurch immer wieder abgelenkt werde. Meine Kolleg*innen und ich machen aktuell regelmäßig Videocalls, um uns auszutauschen. Plötzlich sitzt da jeder in seiner Wohnung und hat ein Kind auf dem Schoß, während man bespricht, welche wichtigen Schritte als Nächstes einzuleiten sind. Ein herrlich absurder Anblick.

Zum Glück haben wir eine kleine Terrasse. Gestern habe ich Minka dort eine Sandkiste zum Spielen aufgebaut. Mein Freund und ich haben ihr anhand eines Videos für Kinder erklärt, dass es Corona gibt und wie man sich verhalten muss. Sie weiß jetzt, dass die Menschen wegen Corona Abstand halten, und dass sie sich deshalb nicht mit anderen treffen und in die Kita gehen kann. Das hat sie auch verstanden. Übrigens ist mir aufgefallen, dass Männer dieses Eingesperrtsein gar nicht gut abkönnen, während Frauen meinem Gefühl nach noch relativ lässig mit der Situation umgehen.

 

 

Minka, 4

„Ich finde es toll, dass ich einen Disneyfilm gucken kann, wenn es dunkel ist. Ich finde es gut, dass Mama hier ist und arbeitet und ich alleine spielen kann. Doof ist, dass wir heute nicht schwimmen waren. Und meine Freunde vermisse ich auch.“

 

 

Stella Hofmann, 38, Motion-Designerin und Nicolas Schmetz, 38, Grundschullehrer, Piet, 3, Jo, 9 Monate

“Unser Beruf besteht normalerweise aus viel Kommunikation aber jetzt muss das alles per Email oder am Telefon stattfinden.”

Homeoffice ist natürlich eine ganz andere Sache, als vor der Klasse zu stehen. Das Schwierige ist, dass man sich nicht sieht. In der Klasse merkt man ja schnell, ob sich ein Kind mit einem Thema leicht- oder schwertut. Mit meinen Kolleg*innen telefoniere und emaile ich gerade sehr viel, denn wir haben ja die Aufgabe, Kinder aus der Entfernung mit Lernmaterial zu versorgen. Einige Eltern nehmen das Homeschooling sehr ernst, bei anderen müssen wir teilweise hinterhertelefonieren, weil wir gar nicht so genau wissen, ob unsere Informationen bei ihnen ankommen.
Ich halte die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung auf jeden Fall für sinnvoll, weil das Virus sehr leicht in der Schule weitergegeben werden kann. Aber die Frage ist, wie lange man so weitermachen kann. Vor allem aus Sicht der berufstätigen Eltern, denn die stehen gerade sehr unter Druck …

Was spannend ist, dass wir jetzt einen riesigen Sprung in Richtung Digitalisierung machen und wir ins kalte Wasser geworfen werden. Mit dieser Situation geht jeder unterschiedlich um. Ich selbst bin ziemlich technikaffin und habe Spaß daran und die Zeit, mich zu Hause ein bisschen in diese Materie einzuarbeiten und alles Mögliche auszuprobieren. Das ist auf jeden Fall eine schöne neue Erfahrung.“

 „Ich musste bloß meinen Rechner aus dem Gemeinschaftsbüro mitnehmen, um von zu Hause aus arbeiten zu können. Da ich eh autark arbeite und eigentlich nur eine gute Internetleitung brauche, macht das gerade eigentlich kaum einen Unterschied für mich. Außer, dass die sozialen Kontakte natürlich total fehlen, was schade ist.

Aktuell sind wir beide in Elternzeit, ich arbeite drei Tage und Nico zwei Tage in der Woche. Wir teilen uns einen ein Meter langen Schreibtisch im Schlafzimmer, das ist schon ganz schön eng. Aber wir versuchen uns gegenseitig den Rücken freizuhalten. Und die Kinder müssen dann halt versuchen in ihrem Zimmer zu bleiben und dort zu spielen oder wir gehen mal eine Stunde an die frische Luft mit ihnen. Seit einigen Tagen nutzen wir unseren Dachboden zum Tüfteln, in der Krise wird man plötzlich auch im Spielen kreativ. Besonders herausfordernd ist es, ein Baby zu haben. Die Nächte sind meistens sehr kurz und die Tage umso anstrengender, denn die Kinder sind weniger ausgelastet und viel fordernder, als wenn sie in der Kita sind. Respekt an dieser Stelle an alle Erzieherinnen. Das birgt natürlich viel Konfliktpotential. Was hilft, ist es, sich immer wieder klarzumachen, woher man seine Energien holen kann und sich zwischendurch auch immer wieder mal aus dem Weg zu gehen und sich gegenseitig eine Pause können.

 

 

 

Judith Vonthin 39, Erzieherin, nebenbei in der Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin, Momme 11, Schüler der 6. Klasse und Enno, 9, Schüler der 3. Klasse

“Erst hatte ich Angst vor dem Homeschooling. Doch jetzt gefällt es mir von Tag zu besser”

„Wir sehen uns nur alle zwei Wochen, da die Kinder im Wechsel bei ihrem Vater wohnen. Normalerweis sind wir aufgrund der Schule und Arbeit acht bis neun Stunden voneinander getrennt. Genau diese Zeit verbringen wir jetzt ganz eng miteinander. Dadurch wachsen wir gerade sehr zusammen. Erst hatte ich Angst vor dem Homeschooling. Doch jetzt gefällt es mir von Tag zu besser. Ich bin eingedeckt mit jeder Menge Unterrichtsmaterial und Leistungsnachweisen, die ich erbringen muss. Inzwischen habe ich mich ganz gut eingearbeitet. Bis auf die üblichen kleinen Streitigkeiten verstehen sich Momme und Enno zum Glück sehr gut.

Für mich ist es teilweise ein bisschen anstrengender geworden, da ich den Anspruch habe, nicht nur alles Wichtige zu organisieren, sondern gleichzeitig auch noch viele schöne Sachen zu machen. Mir gelingt es aber gerade immer besser, meine Ansprüche ein wenig runterzufahren. Dann ist die Wohnung gerade halt ein bisschen dreckiger.Hauptsache wir haben eine schöne Zeit miteinander.
Meine tatsächliche Arbeit fällt gerade eher flach. Einmal wöchentlich bin ich noch in der Notbetreuung. Dort betreue ich Kinder, deren Eltern in systemrelevanten Berufen sind. Das sind im Schnitt drei Kinder, die von mir und einer weiteren Erzieherin betreut werden. Wir müssen vor allem darauf achten, dass die Kinder den Sicherheitsabstand einhalten. Das Schöne daran ist, dass wir gerade sehr innig mit ihnen arbeiten können. Wir reden ganz viel miteinander und wir können den Kindern viel mehr Zeit und Aufmerksamkeit schenken.

 

 

Momme, 11, Schüler der sechsten Klasse

„Für mich fühlt sich das Homeschooling gut an, weil ich für die Aufgaben mehr Zeit habe und mir auch besser einteilen kann, wann ich was mache und wann ich Pausen mache. Und dass, ich nicht so früh wie sonst aufstehen muss, finde ich auch super.“

 

Enno, 9, Schüler der dritten Klasse

„Ich kann mich zu Hause nicht so gut wie in der Schule konzentrieren. Aber wenn Mama mir hilft, klappt das eigentlich ganz gut.“

 

 

Nadine Mecklenburg, 36, Personalerin

“Aktuell ist alles auf den Kopf gestellt und sehr chaotisch”

Aber es eröffnen sich auch neue Türen und Sichtweisen auf die Dinge. René ist aktuell ist an vorderster Front bezüglich der Kinderbetreuung und ich habe das Gefühl, das tut den Kindern gut, dass sie intensiv Zeit mit ihrem Papi verbringen und er für einen längeren Zeitraum Aufgaben aus dem Alltag übernimmt. Allerdings ist es schwierig, Momente der Ruhe zu finden. Die haben wir aktuell eigentlich fast gar nicht. Das ist schwierig und zerrt an den Nerven. Bisher sind Leni und Paula besser gelaunt als gedacht. Denen fehlt natürlich ein Stück weit die Kita. Aber ich habe das Gefühl, dass die sich gerade eigentlich ganz wohl fühlen.“

 

René Breitfeldt, 50, Verkäufer

“Die Situation ist gerade ein bisschen wie eine Midlife-Crisis, nur ohne Funsportarten.”

„Mein Arbeitgeber hat direkt am ersten Tag der Schließung der Läden eine Videonachricht verschickt und uns mitgeteilt, dass keiner der Angestellten sich Sorgen machen muss, dass das volle Geld bezahlt wird. Das Kurzarbeitergeld wird aufgestockt. Also wir bekommen weiterhin unser normales Gehalt. Die Situation ist gerade ein bisschen wie eine Midlife-Crisis, nur ohne Funsportarten. Ich bastele unheimlich viel, lese und male Tuschebilder. Ich glaube, am Ende der Krise werde ich den Zustand des „Überbasteltseins“ erreicht haben. Das was ich jetzt mache, übernimmt normalerweise der Kindergarten. Nur dass dort dank unserem Betreuungsschlüssel zwei Erzieher*innen mit elf Kindern sitzen. Ich frage mich, ob Frauen grundsätzlich höhere Frequenzen vertragen als Männer. Noch bin ich jedoch nicht an meine Grenzen gekommen. Ich bin da ganz pragmatisch. Derzeit kann ich die Situation ja eh nicht ändern, also versuche ich sie anzunehmen.

 

Nadine Mecklenburg, 36, Personalerin, René Breitfeldt, 50, Verkäufer, Paula, 4,5 und Leni 2,5

 

Text: Lesley Sevriens

Fotos by: Jewgeni Roppel

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