Die Frau in Weiß

Der junge Künstler und Zeichenlehrer Walter Hartright trifft auf dem Weg nach Hause des Nachts auf der Heide in der Nähe von London eine mysteriöse Frau, die ganz in Weiß gekleidet ist. Offensichtlich verwirrt und verängstigt, bittet sie den jungen Mann um Hilfe, der sich – ganz Kavalier – auch gleich bereit erklärt, der Dame in Nöten zu helfen. In Londons Außenbezirken angekommen winkt er im schummrigen Licht der Gaslaternen eine Droschke heran, die junge Frau dankt ihm artig und verschwindet in der Nacht. Über die seltsame Begegnung nachsinnend, wartet Hartright einen Moment. Kaum hat er sich seine Gedanken zurechtgelegt, tauchen Männer in einer schwarzen Kutsche auf und fragen einen nahestehenden Passanten aufgeregt nach der Frau in Weiß, die, wie die Männer sagen, aus einem Sanatorium ausgebrochen sei. Am nächsten Tag  – und mit einigen Zweifeln, ob es richtig war, der offensichtlich verwirrten Frau in Weiß zu helfen – bricht Hartright nach Limmeridge House im Norden Englands auf, um eine einträgliche Stellung als Zeichenlehrer für die Schwestern Laura Fairly und Marian Halcombe anzunehmen.

Zarte Bande und Standesunterschiede – das Viktorianische bei Wilkie Collins

Nach einem ersten Kennenlernen, einem Gespräch mit Laura Fairlies reichlich schrägem und hypochondrischen Onkel, der eine beeindruckende Sammlung an Stichen besitzt, mit deren Restaurierung er Hartright betraut, und ersten Zeichenstunden, erzählt Hartright Marian von der Frau in Weiß, die Laura Fairly auf unheimliche Weise ähnlich sieht. Wie sich herausstellt, handelt es sich bei dieser wohl um eine Schülerin der Mutter der beiden Schwestern und sie haben sie als Kinder kennen gelernt. Gleichzeitig mit den Nachforschungen, die er mit Marian anstellt, wächst Hartrights Liebe zu Laura Fairly, die aber einem gewissen Sir Percival Glyde versprochen ist. Auf dem Friedhof des nahegelegenen Dorfes treffen Marian und Hartright die Frau in Weiß, die sich an Laura gewandt hat, um diese vor Sir Percival zu warnen. Besorgt und verwirrt vom unzusammenhängenden Gestammel der mysteriösen Fremden, halten die beiden Rat, aber es scheint keinen Ausweg zu geben. Die aufblühende Liebe Lauras zu Hartright verkompliziert die Lage nur noch weiter und so verlässt dieser noch vor Ende der vereinbarten Dienstzeit auf die dringende Bitte Marians hin Limmeridge House.

Trennung, vorgetäuschter Tod und ein Happy End – Wilkie Collins als Meister der Spannung

So trennen sich die Wege der drei und Hartright geht mit einer Expedition nach Südamerika, während Laura Sir Percival Glyde heiratet und mit ihrer Schwester und Count Fosco, einem guten Freund von Glyde, in dessen Landsitz einzieht. Kaum ist die Heirat vollzogen, belauscht Marian ein Gespräch zwischen Glyde und Fosco und erfährt, dass der Mann ihrer Schwester bis über beide Ohren in Schulden steckt und diese nur wegen ihres Vermögens geheiratet hat. Die beiden spielen verschiedene Möglichkeiten durch, darunter auch den Mord an Laura Fairly. Auch die geheimnisvolle Frau in Weiß taucht wieder auf und warnt erneut eindringlich vor Glyde. Wenig später setzen Fosco und Glyde ihren ausgeklügelten, schrecklichen Plan in die Tat um und es ist an Marian und dem später zurückkehrenden Hartright, Licht in das Dunkel dieser grausamen Affäre zu bringen.

Fazit zu Wilkie Collins „Die Frau in Weiß“

Mit „Die Frau in Weiß“, 1860 in England als The Woman in White erschienen, gelang Wilkie Collins nicht nur ein erstaunlicher Publikumserfolg, sondern der Roman gilt heute als die erste richtige „Mystery Novel“, die danach im angelsächsischen Sprachraum so beliebt gewesen ist. Mit der Mischung aus Kriminalfall und mysteriösen Begebenheiten nimmt der Roman die Leserschaft bis heute gefangen, auch wenn manche Passagen aus heutiger Sicht vielleicht etwas umständlich erscheinen mögen. Eine Hürde mag die etwas altmodische Sprache sein, aber dieser sollte man sich stellen, wenn man Lust auf einen großen viktorianischen Roman irgendwo zwischen Krimi und Gothic Novel hat. Lohnenswert ist diese Mühe auf jeden Fall, war „The Woman in White“ doch schon zu der Zeit seines Erscheinens ein internationaler Bestseller. Die erste Übersetzung ins Deutsche wurde so auch schon 1862 ausgeführt, was eine echte Sensation für die damalige Zeit darstellt, in der es durchaus mal ein Jahrzehnt oder länger dauern konnte, bis ein Buch übersetzt wurde (was heute übrigens auch noch häufig genug vorkommt).

Erzählform und Adaptionen von Wilkie Collins bekanntestem Werk

Anders als bei Wilkie Collins Roman „Der Monddiamant“, den wir auch rezensiert haben, folgt „Die Frau in Weiß“ einem linearen und eher klassischen Erzählmuster. Auch hier werden Dokumente und geschriebene „Zeugenaussagen“ in den Text eingewoben, im Großen und Ganzen werden dem Leser und der Leserin die Ereignisse aber aus Sicht von Walter Hartright und – mit Abstrichen – Marian Halcombes dargestellt. In dieser Hinsicht ist Collins bis heute wohl am meisten gelesener und gleich mehrfach verfilmter Roman weniger ambitioniert und „zeitgenössisch“ als „Der Monddiamant“. Wie dieser ist es aber eine lohnende und belohnende Lektüre mit Einsichten in das viktorianische England, starken Frauenfiguren und einigem an sozialer Kritik, die sich für heutige Leser und Leserinnen vielleicht eher zwischen den Zeilen versteckt, während sie damals mit einiger Sicherheit mehr als deutlich war. Ein tolles, spannendes Buch und ein echter Klassiker, der auf jeden Fall eine Entdeckung wert ist.

Schrifsteller.de Redaktion

Collagenbilder oben von:

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