Der Monddiamant

Wilkie Collins grandioser Roman „Der Monddiamant“ gilt heute als einer der Wegbereiter des Krimigenres und als erster moderner Detektivroman überhaupt. Auch wenn dieses Buch von 1868 durch seine Sprache und Form nichts für Leserinnen und Leser ist, die sich vor etwas umständlichen Sätzen, alten Ausdrücken und einer langsamen Story Entwicklung scheuen, kann es locker mit heutigen Kriminalromanen mithalten. Spannung, Handlung, Figuren, hier passt eigentlich alles – und Einblicke in die Welt des viktorianischen England gibt es obendrein.

Handlungsablauf von “Der Monddiamant”

Die Handlung beginnt mit der Belagerung von Seringapatam in Indien im Jahr 1799. Hier eignet sich der britische Colonel Herncastle einen legendären und für die Inder dieser Gegend anscheinen heiligen Diamanten an. Kurz vor seinem Tode vermacht der von der eigenen Familie entfremdete Colonel den Stein seiner Nichte Rachel Verinder und verfügt, dass dieser ihr an ihrem 18. Geburtstag übergeben werden soll.   Überbringer des Vermächtnisses ist Franklin Blake, ein entfernter Verwandter des Colonels und Rachels. Die begeisterte Rachel trägt den Stein stolz an ihrem Geburtstagsfest, zu dem auch noch unaufgefordert drei indische Schausteller auftauchen, die aber abgewimmelt werden. In derselben Nacht verschwindet der Diamant und ist unauffindbar verschwunden. Es braucht die ganze Geistesgegenwart des in die junge Rachel Verinder verliebten Franklin Blake, um das Geheimnis um das Verschwinden des Steines aufzuklären. Dabei ist er – neben Rachel selbst – zwischenzeitlich der Hauptverdächtige in dieser Affäre. Ohne hier zu viel vorwegnehmen zu wollen: Am Ende steht man als Leser oder Leserin verblüfft vor einer ebenso unwahrscheinlichen wie einfachen Lösung. Bis es dazu kommt (und Franklin und Rachel vielleicht zusammenfinden), gehen aber Jahre ins Land und es sind ausschweifende Nachforschungen vonnöten. Außerdem gibt es da noch andere Verehrer, die der jungen Erbin nachstellen.

Stilistische Besonderheiten von Der Monddiamant

„Der Monddiamant“ ist inzwischen zu einem echten Klassiker im englischsprachigen Raum geworden. Daran hat vor allem auch die Form der Erzählung ihren Anteil, die dieses Werk vielleicht zu Collins stärkstem Roman macht. Es handelt sich um einen so genannten Briefroman, wie er zu jener Zeit in Mode war. Das Besondere ist die Vielstimmigkeit und die Situation, aus der heraus die verschiedenen Personen die Ereignisse des Geburtstages, der Nacht und den anschließenden Ereignissen erzählen. Um die Affäre aufzuklären und die Geschehnisse für die Familie zu dokumentieren, bittet Franklin Blake viele der Beteiligten, ihre Sicht der Dinge und Ereignisse niederzuschreiben. Den Anfang macht das alte Faktotum der Familie Verinder, der wunderbar manierliche (und nicht allzu kluge) Butler. Ein Teil wird von Franklin Blake beigesteuert, ein weiterer von einer vom Leben, den Männern und überhaupt allem enttäuschten Tante von Rachel, die eine so humorvolle, dissonante und desinteressierte Stimme in dieses Wirrwarr aus Ansichten und Eindrücken einbringt, dass der Roman sich hier kurzzeitig zu einer Komödie wandelt. Bleiben der Anwalt von Rachel, ein berühmter Scotland Yard Agent im Ruhestand, der zur Hilfe gerufen wurde, als man das Verschwinden des Steines bemerkte und ein, der Opiumsucht verfallener, Außenseiter. In den einzelnen Erzählungen spielen auch niedere Hausangestellte mitunter eine wichtige Rolle und deren anfängliche Missachtung stellt sich schon bald als großer Fehler heraus.

Die Vielstimmigkeit der Figuren und Perspektiven in Collins „Der Monddiamant

„Der Monddiamant“ ist ein Muss für alle, die von anspruchsvoller Kriminalliteratur begeistert sind. Nicht nur die kunstvolle Figurenzeichnung, die sich in den jeweiligen Niederschriften der Ereignisse zwischen den Zeilen herausbildet, ist ein wirkliches Fest, auch die Handlung selber ist in ihrer komplizierten Einfachheit wirklich staunenswert. Der Einblick in das Leben im früh viktorianischen England, Collins für seine Zeit geradezu feministische Figurenzeichnung vieler der auftretenden Frauenfiguren und das mitfühlende, mitunter ironische, mitunter liebevolle Eingehen auf das einfache Dienstpersonal lässt seine sozialistische Einstellung erkennen, die er mit seinem Freund Charles Dickens teilte. Der Autor selbst ist vielleicht als Alter Ego in der Figur des opiumsüchtigen Außenseiters angelegt, verschlimmerte sich doch zu dieser Zeit Collins Gesundheitszustand und damit auch dessen beginnende Opiumsucht.

Fazit zu Collins „Der Monddiamant“

Allen, die sich sicher genug im Englischen fühlen, sei unbedingt die Lektüre im Original ans Herz gelegt, auch wenn es eine Vielzahl von zum Teil sehr gelungenen Übersetzungen gibt. Seiner Zeit war „Der Monddiamant“ einer von Collins erfolgreichsten Romanen, der vielleicht nur von dem sich ebenfalls um eine mysteriöse Handlung und ein Verbrechen drehende „Die Frau in Weiß“ in den Schatten gestellt wurde. Wenn dieser Roman auch strenggenommen nicht der erste Kriminalroman ist, verdichten sich in ihm doch die wesentlichen Elemente, die die heutige Kriminalliteratur ausmachen. Zudem führt er das „Rätsel um das verschlossene Zimmer“ als Thema in die Literatur ein, das im Folgenden nicht nur bei Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes immer wieder ein beliebtes Thema wird. Unbedingte Leseempfehlung für alle, die nicht vor dicken Büchern zurückschrecken!

 

Schrifsteller.de Redaktion

Collagenbilder oben von:  katjaholst.de & ebooks.adelaide.edu.au/c/collins/wilkie/